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ImpulsLetter Q3 2017

Digitale Lösungen in der öffentlichen Verwaltung wären aus Sicht der Bürger mittlerweile etwas Selbstverständliches. Das bedeutet aber keineswegs, dass es bereits flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland schlanke und kostengünstige Verwaltungsabläufe gibt. Zu groß sind die Unterschiede in den Verwaltungsorganisationen zwischen Kommunen, Regionen, Ländern und im Bund. Auch auf der gleichen Ebene, z.B. zwischen benachbarten Kommunen, gibt es erhebliche Unterschiede im Digitalisierungsgrad. Aus Steuer- und Abgabensicht stellt sich daher die Frage: wie lange wollen und können wir uns das noch leisten?

Die Öffentliche Verwaltung steht vor einer fundamentalen Erneuerung und vor großen, strukturell bedingten Herausforderungen.

„Digitalisierung“ bedeutet gegenüber der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes heute deutlich mehr als die Umwandlung von analogen Speichermedien wie Bücher, Schallplatten oder Fotos in ein digitales Format. Neben deutlich fortgeschrittenen Möglichkeiten, diese digitalen Formate zur Weiterverarbeitung von Informationen zu nutzen, geht es um die (weltweite) Vernetzung und damit einhergehend um völlig neue Möglichkeiten in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, unser Zusammenleben zu gestalten. Für die Öffentliche Verwaltung bedeutet insbesondere die Vernetzung den Einstieg in einen besonderen Wettbewerb, weil perspektivisch nur die Kommunen, Regionen und Länder als attraktiver Lebens- und Arbeitsraum gesehen werden, die auch in der digitalen Welt ein an den aktuellen Bedürfnissen ausgerichtetes Angebot haben. Im Sinne der effizienten Verwendung von Haushaltsmitteln ist aber die Öffentliche Verwaltung auf allen Ebenen mehr denn je gefordert, gemeinsam über mögliche Synergien bei der Realisierung von Digitalisierungsstrategien nachzudenken. Das – und nicht der Wettbewerb z.B. zwischen benachbarten Kommunen – ist eindeutig in unser aller Interesse. Kumuliert stehen Haushaltsmittel für die Digitalisierung bereit, über die sich jedes Wirtschaftsunternehmen freuen würde – ein verantwortungsvoller Umgang mit diesen Mitteln erfordert daher auch die uneingeschränkte Bereitschaft zur Zusammenarbeit und ein professionelles Umsetzungsmanagement. Das allerdings ist bisher bei Großprojekten der Öffentlichen Hand keine gelebte Praxis: sehr häufig sind alleine schon die, durch politisch geprägte Willensbildungsprozesse und das Vergaberecht bedingten Vorlaufzeiten für Realisierungsprojekte zur Verwaltungsmodernisierung derart lang, dass Lösungen bei ihrer Einführung fast schon wieder veraltet sind. Und auch die notwendigerweise sich wandelnden Strukturen sind keineswegs an Dynamik oder Agilität ausgerichtet, sondern befördern eher Silodenken und Abgrenzung statt der notwendigen übergreifenden Vernetzung auf Ebene der handelnden Personen.

Digitale Skills und flexible Kapazitäten in Ämtern und Behörden jederzeit passgenau verfügbar zu machen gleicht der Quadratur des Kreises.

Bei der Planung von Haushaltsmitteln für Digitalisierungsprojekte wird überwiegend von einem Idealzustand bei der Qualifizierung der Mitarbeitenden und bei der Bemessung von Kapazitäten ausgegangen. Da dies natürlich in der Praxis nicht gegeben ist, gibt es insbesondere aus Gründen der fehlenden Wandlungsbereitschaft bzw. Wandlungsfähigkeit auf Ebene der Führungskräfte und Mitarbeitenden erhebliche Hindernisse bei der Realisierung. Das langfristige Ziel muss es daher sein, Verwaltungsreformen dergestalt anzugehen, dass Skill- und Kapazitätsmanagement den heutigen Ansprüchen an eine moderne Verwaltungsorganisation gerecht werden und nicht an traditionellen Strukturen aus einer analog geprägten Zeit. Da es aber auf dem Weg zu diesem Langfristziel auch kurz- und mittelfristige Umsetzungserfordernisse gibt, sind weitere Aktivitäten erforderlich, die einen positiven Einfluss auf Wandlungsbereitschaft und -fähigkeit ausüben. Hier sind unterschiedliche Reifegrade in Organisationen und bei Personen zu beachten, um entsprechende Initiativen auch passgenau zu starten (kein „one-size-fits-all“-Ansatz). Je nach Grad der Wandlungsbereitschaft und der Wandlungsfähigkeit geht es daher im Wesentlichen um 4 Handlungsfelder: Dem Abbauen von Fähigkeitsdefiziten, dem Fördern von Internen Best Practises, dem Auflösen von Reformstaus und dem Beseitigen von Willensbarrieren. Oder um es anders zu formulieren: der konsequenten Entwicklung der erforderlichen „hard skills“ und „soft skills“ bei gleichzeitiger Bereitstellung der für die Leistungserbringung erforderlichen Kapazitäten dort, wo sie tatsächlich benötigt werden.

Abbildung 1: Positive Beeinflussung von Wandlungsbereitschaft und –fähigkeit als Erfolgsfaktor

Praxisbeispiel „eAkte“: analoge Ablagestrukturen 1:1 in digitale Lösungen zu überführen ist eindeutig zu kurz gesprungen.

Am Beispiel „eAkte“ wird deutlich, dass jegliche Art von IT-Innovation umfassend bzgl. ihrer Auswirkungen auf Prozesse, IT-Systeme und Personal betrachtet werden muss. Nur so kann vermieden werden, dass zeitintensive Grundsatzdiskussionen während der Umsetzung entstehen, die – gerade aufgrund der existierenden Strukturen – äußerst zeitintensiv sind. Diese nicht vorab kalkulierbaren Terminrisiken werden dann schnell zu konkreten Einführungsrisiken und im schlechtesten Fall zu späteren Betriebsrisiken. Wenn (idealerweise) eine eAkten-Lösung bundeseinheitlich auf der gleichen Basisinfrastruktur und den gleichen Basisfunktionalitäten aufbauen würde, wäre ein Wechsel von Mitarbeitenden beispielsweise zwischen Amt A und Behörde B mit deutlich weniger Einarbeitungszeit und deutlich geringeren Fehlerquoten das Ergebnis. Und diese wäre ein erheblicher Beitrag für die Wirtschaftlichkeit eines solchen Projektes. In der nächstehenden Darstellung sind beispielhaft zentrale Fragestellungen aufgeführt, die im Vorfeld eines Umsetzungsprojekts zwingend zu beantworten sind.

Abbildung 2: „eAkte“ = eAktenführung + eVorgangsbearbeitung + eZusammenarbeit

Von entscheidender Bedeutung: der Anteil der tatsächlich erforderlichen Organisationsentwicklungskosten an den Gesamtkosten.

Wir haben in zahlreichen veränderungsintensiven Projekten beobachtet, dass es erkennbare Wechselwirkungen zwischen der Veränderungsintensität und dem Reifegrad von Organisationen gibt. Aus dieser Erkenntnis heraus erscheint es zwingend erforderlich, im Rahmen der Bereitstellung von Haushaltsmitteln für Digitalisierungsprojekte auch die zwangsläufig entstehenden Aufwände für Organisationsentwicklungs-Maßnahmen mit zu berücksichtigen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass spätestens nach offiziellem Projektabschluss (der nicht selten auch ohne das Erreichen der gesetzten Projektziele festgestellt wird) unerkannte oder bewusst als gering eingestufte BeherrschbarkeitsRisiken in der Organisation schlagend werden. Organisationsentwicklung als elementarer Bestandteil im Führungsprozess ist zunächst individuell je Verantwortungsbereich zu sehen. Abhängig vom Reifegrad einer Organisation und der gegebenen Veränderungsintensität sind im jeweiligen Verantwortungsbereich die Führungskräfte unterschiedlich stark in puncto Organisationsentwicklung gefordert. Auch die Führungskräfte selbst sind gehalten, ihren Führungsprozess den sich ändernden Umgebungsbedingungen anzupassen. Es geht daher um einen strukturierten Transformationsprozess, der berücksichtigt, dass es nicht in jedem Teil einer öffentlichen Verwaltung den gleichen Digitalisierungsgrad benötigt und auch nicht in jedem Verwaltungsvorgang Echtzeit-Anforderungen stecken. In diesem Sinne zeichnet sich auch ab, dass es perspektivisch eine „Verwaltung der 2 Geschwindigkeiten“ geben wird, die mit gezielten Entwicklungsmaßnahmen herbeizuführen ist. Organisationsentwicklung bedeutet in diesem Sinne, einen Maßanzug für jede Verwaltungsorganisation zu schneidern und gleichzeitig nach Synergien zu suchen, um Umsetzungsprojekte mit größtmöglicher Kosteneffizienz und Standardisierung von gleichen oder gleichartigen Abläufen zu realisieren. In der nachstehenden Darstellung sind Erfahrungswerte von Advyce bzgl. des prozentualen Anteils von Organisationsentwicklungskosten an den Gesamtkosten abgebildet.

Abbildung 3: Prozentualer Anteil von Organisationsentwicklungskosten an den Gesamtkosten (Erfahrungswerte)

Fazit

In der Realisierungsplanung von Digitalisierungsstrategien ist es für die Öffentliche Verwaltung zwingend erforderlich, bei eGovernment-Projekten neben den Mitteln für IT-Infrastrukturen und IT-Lösungen auch angemessene Mittel für die kontinuierliche und nachhaltige „Digitale Organisationsentwicklung“ bereitzustellen. Je veränderungsintensiver ein Vorhaben ist, umso mehr wird dies zum entscheidenden Erfolgsfaktor: damit aus „gut gemeint“ auch „gut gemacht“ wird. Als realistisches Zielbild zeichnet sich dabei tendenziell eine „Verwaltung der 2 Geschwindigkeiten“ ab.

Ralf Weygand

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