Industrialisierung der Zeitenwende: Europas Balance zwischen Anspruch und Realität
Blick auf die Branche
Die globale Aerospace und Defence Branche befindet sich im Jahr 2025 in einer Phase grundlegender Neuausrichtung. Nach Jahrzehnten der Friedensdividende prägen geopolitische Spannungen, regionale Konflikte und technologische Disruptionen das Bild. Die Verteidigungsbudgets steigen dauerhaft und gleichzeitig wächst der Druck, neue Fähigkeiten schneller in Einsatzreife zu bringen. Für Europa bedeutet das doppelte Anstrengung, die sicherheitspolitische Eigenständigkeit zu stärken und die industrielle Basis zu skalieren, dass Volumen, Geschwindigkeit und Verfügbarkeit tatsächlich leistbar sind.Politische Absichtserklärungen entfalten nur dann Wirkung, wenn Bedarfe gebündelt, mehrjährige Volumina zugesagt und die Beschaffungslogik vom projektbezogenen Denken hin zu produktorientierten und plattformbasierten Ansätzen weiterentwickelt wird. Andernfalls scheitert der Hochlauf an den Grenzen industrieller Realität.
Auf der Nachfrageseite verschiebt sich der Fokus von wenigen hochspezialisierten Systemen hin zu ausgewogenen Fähigkeitsmixen. Dazu gehören mehrschichtige Luftverteidigung, vernetzte Sensorik und C2, präzise und massenhaft verfügbare Munition sowie unbemannte Systeme. Software wird zum Taktgeber. Systeme unterscheiden sich zunehmend über Code, Daten und Schnittstellen. Wer digitale Architekturen beherrscht, etwa in den Bereichen Cybersicherheit, sichere Updates und Interoperabilität beschleunigt die Wirkung im Feld und verlängert Lebenszyklen.
Auf der Angebotsseite ist der Übergang vom Prototypenbetrieb zum Serienbetrieb und zur Plattformlogik entscheidend. Komplexe Entwicklungs- und Zuliefernetzwerke müssen auf Taktung, Qualität, Traceability und Nachweisfähigkeit ausgerichtet werden, ohne an Flexibilität bei Varianten oder Exportregeln zu verlieren. Europas Stärke bleibt die Breite an Mittelständlern, Systemhäusern und Dual‑Use‑Technologien. Schwächen zeigen sich in fragmentierter Beschaffung und uneinheitlichen Exportregimen. Kooperationen mit der Automobilindustrie bieten Potenzial für Skalierung und Industrialisierung, vorausgesetzt Volumen, Investitionssicherheit und Planbarkeit sind gegeben.
Auch die zivile Luftfahrt bleibt ein relevanter Treiber, konkurriert jedoch um Kapazitäten bei Triebwerken, Avionik, Werkstoffen und Fachkräften. Erfolgreiche Akteure kombinieren Strategie, Kompetenzen, Skalierung und Software mit belastbaren Partnerschaften. Dort wo Staaten Volumen bündeln, Investitionssicherheit schaffen und Programme auf modulare Produktlinien ausrichten, wird die „Zeitenwende“ auch industriell wirksam.
Herausforderungen der Branche
Die Aerospace- und Defence-Branche steht unter gleichzeitigem geopolitischem, technologischem und finanziellem Druck. Neben der Stabilität globaler Lieferketten gewinnen schnellere Entwicklungszyklen, Cyber-Resilienz, regulatorische Anforderungen und kommerzielle Strukturfragen zunehmend an Bedeutung. In Teilsegmenten wie Luftverteidigung und Munition trifft eine stark steigende Nachfrage auf Engpässe bei Schlüsselmaterialien wie Elektronik, Titan und Verbundstoffen, was Termin- und Kostenrisiken deutlich erhöht.
Gleichzeitig dominieren kleinteilige, projektgetriebene Beschaffungen mit geringen Stückzahlen und hoher Individualisierung. Das erschwert Skalierung, Kapazitätsaufbau und Investitionen mit nachhaltigem Return on Investment. Die Auswirkungen zeigen sich direkt in Programmen, Margen und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Vier übergreifende Themen beeinflussen alle operativen Schwerpunkte: regulatorische Anforderungen und Exportkontrollen, Cyber- und OT-Sicherheit sowie die Absicherung von Beschaffung und Investitionen. Diese Querschnittsthemen wirken auf alle sechs Handlungsfelder ein und erfordern integrierte, strategisch abgestimmte Lösungen.
Ramp‑up‑Investitionen & Working Capital
Steigende Produktionsraten erfordern erhebliche Investitionen in Anlagen, Werkzeuge, Automatisierung und Testmittel. Zusätzlich müssen Anlauf- und Sicherheitsbestände aufgebaut werden, um die Versorgung sicherzustellen. Lange Beschaffungszeiten für Equipment und fehlende Kapazitätsabstimmungen zwischen Produktionslinien oder Standorten können dabei neue Engpässe verursachen. Ohne ein eng abgestimmtes Sequencing von Industrialisierung, Qualifizierung und Logistik gerät die Cash Conversion unter Druck – das Umlaufvermögen steigt, ebenso wie der Aufwand für Nacharbeiten.
Auswirkungen: gebundenes Kapital, Liquiditätsdruck, negative Free‑Cash‑Flow‑Phasen und erhöhte Risiken von Vertragsstrafen bei Lieferverzug.
Rohstoffe, Inflation & Preissicherung
Materialien wie Titan, Aluminium, Nickel, Verbundstoffe und Elektronikkomponenten zeichnen sich durch lange Lieferzeiten und eine hohe Konzentration auf wenige Lieferanten aus. Steigende Preise und indexbasierte Anpassungen treffen insbesondere Festpreisverträge und führen zu erheblichen Kostenrisiken. Zudem erfordern Materialänderungen oft aufwendige Re-Qualifizierungen, was Zeit und Ressourcen bindet. Fehlt ein wirksames Hedging oder sind die verwendeten Preisindizes ungeeignet, verlagert sich das Risiko auf OEMs und Tier-1-Zulieferer.
Auswirkungen: Margendruck, Zunahme Planungsunsicherheiten, Aufbau von Lagerbeständen und Verzögerung bei Zertifizierungsprozessen.
Lieferanten‑Performance vs. OTOCOQ‑Anforderungen
Leistungslücken bei Lieferanten entstehen häufig durch unreife Prozesse, fehlerhafte Produktionsplanung, unzureichende Kapazitäten, Qualitätsmängel oder instabile Beschaffungsstrategien. Um diesen Herausforderungen wirksam zu begegnen, sind ein stringentes Reifegradmanagement unerlässlich. Dies kann durch Gatekeeping, Erstbemusterungen und Industrial Audits sowie eine gezielte Lieferantenentwicklung erreicht werden. Digitale Leistungsmonitore mit integrierten Frühwarnindikatoren wie On-Time Delivery (OTD), First Pass Yield (FPY) und Kapazitätsabgleich ermöglichen eine frühzeitige Identifikation von Risiken und helfen, unerwartete Störungen zu vermeiden.
Auswirkungen: Nacharbeiten, Produktionsunterbrechungen (Linestops), hohe Qualitätskosten und weitreichende Kettenreaktionen bis hin zur Endmontage sind mögliche Konsequenzen.
Skalierfähiges Supply Chain Management
Mit steigenden Produktionsraten reichen individuelle Problemlösungen („Heroics“) nicht mehr aus. Stattdessen braucht es ein robustes Sales & Operations Planning (S&OP), sauber gepflegte MRP-Parameter und eine constraints-basierte Planung mit durchgängiger Verknüpfung über alle Stufen hinweg (End-to-End-Pegging). Späte Engineering-Änderungen (ECOs) gefährden die Planstabilität, insbesondere wenn Entkopplungspunkte und eine klare Konfigurationskontrolle fehlen. Ein durchgängiger Digital Thread schafft Transparenz über Stücklisten-Versionen, Engpässe und Bestände.
Auswirkungen: Bullwhip‑Effekt, hohe Kosten durch Eilaufträge (Expediting), sinkende Service-Level sowie Fehl- und Überbestände im gesamten Netzwerk.
Sourcing und Allokationsrisiken zw. ziviler & milit. Nachfrage
Bei begrenzten Kapazitäten priorisieren Lieferanten häufig Programme, die entweder höhere Margen versprechen oder politisch bevorzugt werden. Zivile und militärische Abrufe konkurrieren dabei oft um dieselben Ressourcen. Unterschiedliche Auslastungsprofile sowie Exportauflagen erschweren die Allokationsentscheidungen zusätzlich. Um dem entgegenzuwirken, sind Maßnahmen wie Kapazitätsreservierungen, langfristige Rahmenverträge, „Take or Pay“-Klauseln und eine verlässliche Forecast-Treue wirksam.
Auswirkungen: volatile Zuliefermengen, hohe Kosten durch Eilaufträge (Expediting), Terminabweichungen und Verlust von Marktanteilen durch verfehlte Meilensteine.
Talente, Rekrutierung & Bindung
Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften etwa für Schichtführung, Produktionsplanung, Software- und Avionikprofile trifft auf einen angespannten Bewerbermarkt. Sicherheitsfreigaben verlängern die Einstellungsdauer und schränken Remote-Arbeitsmodelle ein, was die Attraktivität für Bewerbende zusätzlich mindert. Ohne strukturierte Wissenssicherung, etwa durch Standard Work oder Mentoring-Programme, steigt das Risiko von Qualitätsproblemen im Produktionshochlauf.
Auswirkungen: langsamere Ramp-ups, steigende Überstunden und Lohnkosten, höhere Fluktuation, zunehmende Abhängigkeit von teuren Interim-Ressourcen.
Unsere Leistungen
Advyce verbindet tiefes Branchenverständnis mit funktionaler Expertise. Als Teil der Argon & Co Group bieten wir ein integriertes Leistungsportfolio, das Strategie, Transformation und datenbasierte Performance mit operativer Exzellenz in Produktion und Supply Chain auf einer europäischen Delivery-Plattform vereint. Unsere Teams begleiten Programme ganzheitlich, von der Markteintrittsstrategie und Programmarchitektur über den industriellen Hochlauf bis hin zu nachhaltigen Through-Life-Services. Unser Ziel ist messbare Wirkung: schnellere Fähigkeitsbereitstellung, stabilere Lieferketten, geringere Lebenszykluskosten und höhere Einsatzbereitschaft. Dafür kombinieren wir methodische Tiefe mit pragmatischer Umsetzung mit Blick auf Effizienz, Skalierbarkeit und Ergebnisorientierung.
Ramp-up, Lead‑Time‑Kompression und Supply‑Chain‑Absicherung
Advyce beschleunigt den Hochlauf von Programmen, verkürzt Durchlaufzeiten und reduziert Risiken in der Lieferkette. Grundlage ist ein integriertes Gesamtkonzept aus Diagnose, Umsetzung und Steuerung. Wir analysieren systematisch die Bereiche Engineering, Industrialisierung, Produktionssteuerung, Bestandsmanagement, Lieferkette und Sourcing, Produktpolitik, Standardisierung sowie Digitalisierung und Datenanalyse. Die Bewertung erfolgt anhand eines Best-Practice-Rasters, aus dem ein priorisierter Aktionsplan entsteht. Dieser verbindet die Absicherung von Qualität, Termintreue und Stückzahl mit strategischen Wachstumsthemen wie Wettbewerbsfähigkeit und Kapazitätsausbau.
In der Umsetzung kombinieren wir zwei Vorgehensweisen. Erstens ein ganzheitlicher Ansatz zur Identifikation struktureller Hebel, zum Beispiel bei Taktung, Materialfluss, Planungslogik von Sales and Operations Planning bis Master Production Scheduling, vorausschauender Instandhaltung, Bestandsregeln und digitaler End-to-End-Steuerung. Zweitens ein fokussiertes Vorgehen in Pilotprojekten auf Linien-, Werk- oder Programmebene, um Engpässe schnell zu lösen und Kapazitäten freizusetzen. Wenn interne Teams ausgelastet sind, starten wir im Delivery-Modus und schaffen gezielt Freiräume für die Einführung von Standards, Richtlinien und Tools.
Die Wirkung unserer Maßnahmen messen wir anhand klarer Kennzahlen, darunter First Pass Yield, Overall Equipment Effectiveness, On-Time Delivery, Rückstände, Working Capital und das Risiko von Claims.
Performance‑Based Services / Through‑Life‑Support
Advyce unterstützt bei der Entwicklung und Umsetzung leistungsbasierter Serviceverträge, auch bekannt als Performance Based Logistics (PBL), für Systeme, Plattformen und Flotten. Ziel ist es, die vereinbarten Leistungsziele fristgerecht zu erreichen, die Abläufe zu stabilisieren und eine transparente Steuerung zwischen Programmteam, internen Funktionen und dem Kunden sicherzustellen. Der Leistungsumfang reicht von reinen Supply-Chain-Lösungen bis hin zu umfassenden Full-Scope-Modellen mit Instandhaltung, Ersatzteilversorgung, Transport und Lagerhaltung. Dabei werden klare Schnittstellen zwischen Kunde, Betreiber und Industrie definiert.
Einheitliches Reporting sorgt für Vergleichbarkeit und ermöglicht Eskalationen auf der jeweils passenden Ebene. Dafür gestalten wir serviceorientierte Modelle auf Basis von Kennzahlen, die von der Vertragsgestaltung über die Übergangsphase bis in den laufenden Betrieb greifen. Wir definieren die Kennzahlensystematik rechtssicher, zum Beispiel mit On Time Delivery als zentrale Steuerungsgröße, leiten relevante Datenquellen und Filterlogiken ab und etablieren eine regelmäßige Meetingstruktur, die verlässliche Informationsflüsse über Funktionen und Standorte hinweg sicherstellt.
Dieser strukturierte Ansatz reduziert Verzögerungen, verbessert die Lieferfähigkeit und senkt das Risiko von Vertragsstrafen. Gleichzeitig erhält das Management jederzeit Transparenz darüber, wo Fortschritte erzielt werden und wo gezielte Maßnahmen erforderlich sind. Unsere Methodik verbindet die Service-Logik mit der Advyce-Transformationsarchitektur, die auf den Säulen Strategie, Kompetenzen und Skalierung basiert und durch Softwarelösungen als verbindendes Element ergänzt wird.
Multinationales Programm-Management (MPM)
Advyce beschleunigt die Planung und Umsetzung multinationaler Programme im Bereich Aerospace und Verteidigung, von der Initiierung über die Beschleunigung bis zur Stabilisierung. Wir gestalten Governance-Strukturen und Entscheidungswege so, dass Entscheidungen auf der niedrigstmöglichen sinnvollen Ebene getroffen werden und Eskalationen vermieden werden. Gemeinsam mit den Industriepartnern definieren wir einen konsistenten Ziel- und Leistungsrahmen und verhindern frühzeitig Zielkonflikte.
Wir entwickeln einen integrierten Programmplan, der von einzelnen Arbeitspaketen bis zum Gesamtplan reicht, und übersetzen diesen in ein datengestütztes Monitoring mit klaren Kennzahlen für Fortschritt, Termine, Kosten, Risiken und Chancen. Zusätzlich spezifizieren wir die Anforderungen an Tools und schaffen einen sicheren digitalen Raum für Zusammenarbeit über Ländergrenzen und Unternehmensgrenzen hinweg. Der Austausch wird durch eindeutig definierte Rollen, Verantwortlichkeiten und Zugriffsrechte abgesichert.
Wir verknüpfen die operative Programmsteuerung mit dem Kundenmanagement, mit Vertragslogik und Claim-Management sowie mit Abnahmeprozessen. Den Einstieg bildet eine Reifegradanalyse, ergänzt durch eine neutrale Moderation zwischen Partnern und Stakeholdern. So reduzieren wir Verzögerungen, schützen Budgets und schaffen ein gemeinsames, belastbares Arbeitsmodell.
Aus Defensive wird Defence!
Die globale Sicherheitsarchitektur befindet sich in einer tiefgreifenden Umbruchphase: von der defensiven Haltung zur aktiveren „Defence“.
Europa und insbesondere Deutschland, stehen vor historischen Wachstumschancen in der Verteidigungsindustrie, gleichzeitig aber vor großen Herausforderungen wie Lieferketten, Fachkräftemangel und Serienfertigung.
Wer jetzt strategisch, personalseitig und industriell umsteuert, kann sich als Gewinner der kommenden Dekade positionieren. Wie genau das geht, erfahren Sie in unserem neusten Artikel zum Thema.