Wie der digitale Produktpass die Kleislaufwirtschaft ankurbelt
Kunden sind im Zuge ihrer Kaufentscheidungen in Sachen Nachhaltigkeit besser informiert und stärker interessiert, auch und gerade mit Blick auf ethische Aspekte. Und hat ein Produkt das Ende seines Lebenszyklus erreicht, fragen sie danach, was mit ihm passiert. Werden die darin enthaltenen Rohstoffe wieder und weiterverwendet? Werden sie dem Stoffkreislauf erneut sinnvoll zugeführt, und wo finde ich dazu valide Informationen? Gleichermaßen sind Industrieunternehmen gefordert, die Transparenz hinsichtlich Kreislauffähigkeit ihrer Produkte zu steigern (Circular Economy). B2B-Produkte stehen zwar gewöhnlich nicht so stark im Fokus der Endverbraucher, aber mittelbar beeinflussen sie den Ressourcen-Verbrauch der Konsumenten eben doch enorm.
Abbildung 1: Der digitale Pass für den gesamten Produktkreislauf (Quelle: BMVU, 2023¹).
Die Europäische Kommission nennt in ihren Strategiepapieren „European Green Deal“ und „Circular Economy Action Plan“ den digitalen Produktpass als wesentliches Instrument für eine klimaschonende und ressourceneffiziente Wirtschaft. Die EU plant eine Initiative für mehr Produkttransparenz: Im nächsten Jahr wird der digitale Produktpass (DPP) eingeführt – letzten Endes nichts anderes als ein Digital Twin. Im Fokus stehen zunächst, insbesondere Batterien, Textilien, Consumer Electronics und Bauprodukte. Mit der Einführung des europäischen Digitalen Produktpasses wird nicht weniger als die Datengrundlage einer EU-weiten Kreislaufwirtschaft geschaffen.
Dies verbirgt sich hinter dem Digitalen Produktpass (DPP):
• Unternehmen erfassen und dokumentieren künftig alle Informationen digital, die im Kontext zu ihrem Produkt stehen
• Informationen umfassen z.B. Materialien, aus denen das Produkt hergestellt wird
• Zusätzlich werden Daten zu Ersatzteilen und Reparaturfähigkeit, Energieverbrauch sowie zur Entsorgung des Produkts erhoben
• Die Informationen stammen aus allen Phasen des Produktlebenszyklus (Design, Herstellung, Nutzung, Entsorgung)
• Der digitale Produktpass wird zukünftig eine wichtige Rolle für verlässliche Produktentscheidungen für Unternehmen bzw. Endkonsumenten spielen.
Dies sind die wesentlichen Nutzenaspekte:
• Die Einführung des DPP soll insbesondere die Ziele der Kreislaufwirtschaft unterstützen
• Der DPP dient ebenfalls als unterstützendes Instrument zur Erreichung der Klimaziele des Green Deals
• Durch die Dokumentation soll eine umfassende Transparenz über den gesamten Wertschöpfungskreislauf hinweg realisiert werden – im Sinne eines lückenlosen Lebenslaufes
• Die bereitgestellten Produktinformationen geben die Möglichkeit, den CO2-Fußabdruck eines Produktes zu errechnen
• Der Austausch produktbezogener Informationen zwischen Unternehmen, Akteuren entlang der Lieferkette, Behörden und Verbrauchern soll durch den DPP vereinfacht werden
• Perspektivisch wir der Digitale Produktpass die Grundlage für neue und datengetriebene Geschäftsmodelle darstellen können
Die Etablierung des digitalen Produktpasses ist eine Herausforderung
Durch den Digitalen Produktpass werden Prozesse zwar transparenter und Produkte erhalten messbare Nachhaltigkeitskriterien, jedoch existiert eine Vielzahl unbeantworteter Fragen, auf die Unternehmen noch eine Antwort finden müssen:
• Aktuell gibt es seitens der Gesetzgebung noch keine konkreten und umfassenden Konzepte (Standards) im Kontext der DPP-Gestaltung und dessen Implementierung
• Derzeit gehen bei der Herstellung, dem Verkauf und dem Betrieb wichtige Produktinformationen verloren
• Eine konsistente Verfügbarkeit von Daten vieler (und globaler) Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten ist oftmals nicht gegeben, da in einigen Prozessen zumeist eine umfassend integrierte Digitalisierung noch fehlt
Unternehmen managen ihre Daten zumeist nicht einheitlich und auch nicht in einem Single Point of Truth (SPoT). Beide Umstände führen oftmals dazu, dass benötigte Datensätze entweder doppelt und dreifach oder aber gar nicht vorliegen. Auch ist die Qualität der Daten in zu vielen Fällen nicht zufriedenstellend, sodass diese schlimmstenfalls in der Folge nicht für wertschöpfende Aktivitäten genutzt werden können – Stichwort datengetriebene Geschäftsmodelle.
Es ist absehbar, dass sich viele Unternehmen damit schwertun werden, eine gute Ausgangsbasis zu schaffen. Hektische Aktionen – vergleichbar mit denen der S4-HANA Einführungen in den vergangenen zehn Jahren – werden an der Tagesordnung sein.
Für Unternehmen stellt der digitale Produktpass eine Chance dar
Die sofortige Einführung eines Digitale Produktpasses über alle Produkte hinweg ist zu komplex und auch nicht notwendig. Der Schwerpunkt kann zunächst auf den besonders ressourcen- und energieintensiven Gütern liegen.
Eine unternehmensübergreifende Harmonisierung der Erhebungs- und Dokumentationsmethodik über die gesamte Wertschöpfungskette eines Produktes (cradle to grave) ist für die zukünftige Vergleichbarkeit in jedem Fall sicherzustellen.
Für Unternehmen stellt der Digitale Produktpass aber auch eine Chance dar:
• Für die Corporate-Ebene: Ein etabliertes DPP-Konzept unterstützt maßgeblich die Informationsbereitstellung zur Erstellung des Nachhaltigkeitsreportings
• Für die Produktentwicklung: Ein integrierter DPP wirkt als Befähiger zur Informationssammlung und als Instrument für Optimierungspotenzial beim zukünftigen Entwickeln entlang von ESG-Kriterien
Der Digitale Produktpass wird spätestens im Jahr 2030 für die meisten Unternehmen und deren Produkte zur Pflicht. Unternehmen sollten, auch wenn es im Moment noch keine Klarheit über zukünftige Standards und Normen gibt, aufgrund des absehbar hohen Umsetzungsaufwands bereits jetzt die notwendigen und grundlegenden Aktivitäten – wie eine konsistente Datenverfügbarkeit – starten. Damit werden die Akzeptanz sowie der langfristige Erfolg einer solchen Initiative sichergestellt.