ImpulsLetter Q1 2020
Technologie als Treiber von Strategieprozessen
Die (digitale) Innovationskraft als Folge breiter Verfügbarkeit und rasanter technologischer Weiterentwicklung beschleunigt Wirtschaftszyklen, verändert Arbeitsmärkte und Geschäftsmodelle – mit entsprechenden Folgen für Unternehmensführung, Planung und Überwachung. Es entstehen neue Produkte und Dienstleistungen, Märkte und Player die ihr Geschäftsmodell auf traditionelle Wirtschaftszweige ausdehnen. Dies hat immense Auswirkungen auf den traditionellen Strategieprozess. Während in der Vergangenheit Technologie oft Hebel zur Implementierung war, ist sie nun Strategietreiber.
Technologische Innovationen verändern Kernprozesse der Wirtschaft
Technologische Innovationen verändern nicht nur die zeitliche Dimension von Innovation, sondern auch Marktstrukturen. Beispielhaft ist die Veränderung im Finanzwesen. Kryptowährungen greifen das Währungsmonopol der Notenbanken an und verändern eine Branche. Sie haben sogar das Potential, diverse Wirtschaftsbereiche und ihre Zahlungsabwicklung zu revolutionieren. Neue Akteure betreten das Spielfeld und machen den Kunden und seine Bedürfnisse zum Unterscheidungsmerkmal – etablierte Unternehmen werden zu Verlierern.
Kolloboration als Wettbewerbsfaktor
Wer Technologie für Innovation aktiv nutzt, wird sein Leistungsangebot innerhalb einer Wertschöpfungskette kontinuierlich verändern (müssen). Damit einher gehen Rollenveränderungen innerhalb klassischer Geschäftsprozesse; Grenzen der Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten verschieben sich oder verschwinden. Produktentwicklung geschieht stärker in Interaktion mit mindestens zwei Partnern (Kunde und Lieferant) und fordert ein hohes Kommunikations- und Organisations-Know-how. Es gilt mit spezialisierten Partnern, das gemeinsame Ziel fokussiert zu halten und eine gemeinsame Sprachebene zu entwickeln.
Bedeutung technologischer Innovationen für den Stratgieprozess
Die Auswirkungen technologischer Innovationen auf die Positionierung eines Unternehmens machen deutlich, dass Technologie einen neuen Stellenwert in der Strategieentwicklung hat. Unternehmen sind dann innovativ, wenn sie Technologie mit profunder Marktkenntnis bewerten und schnell auf Produkte und Dienstleistungen anwenden. Dabei sind es oft nicht die technologischen Neuerungen, die Wettbewerbsvorteile schaffen, sondern das erstmalige Einbringen verfügbarer Technologien und die Veränderung des Geschäftsmodells eines einzelnen Anbieters. Die Kombination aus erstklassiger Marktintelligenz, strukturiertem Technologie Screening und umfassender Modellierung von Geschäftsmodellen bildet immer mindestens eines, besser zwei der folgenden Unterscheidungsmerkmale aus:
- Neue Wettbewerbskriterien
Typischerweise konkurrieren Unternehmen mit ihren Wettbewerbern über Kriterien wie Preis, Qualität, Leistung und Wirkungsgrad. Die Integration einer bisher nicht angewandten Technologie innerhalb des Produktentstehungsprozesses, im Produkt selbst oder als Ergänzung des Produktpaketes, bildet ein neues Merkmal.
- Neue Geschäftsmodelle
Während klassischer Weise Wettbewerber versuchen, auf Basis akzeptierter Kriterien, Umsätze zu steigern und gleichzeitig die Produktivität in ihre Wertschöpfungsketten zu erhöhen, verändern innovative Unternehmen Wertschöpfungs- und Vertriebsprozesse. Im Bereich der Shared Economy finden sich hierzu diverse Beispiele.
- Technologie als essenzieller Bestandteil einer ganzheitlichen Strategie
Bis dato wurde Technologiebewertung und-entwicklung im Wesentlichen zur Strategieimplementierung genutzt oder im Rahmen einer Funktionalstrategie betrieben. Will ein Unternehmen den technologischen Wandel nutzt, muss es Technologie als eigenständige Dimension in die strategische Analyse und den Strategieentwicklungsprozess integrieren und entlang der Dimensionen Markt, Kunde, Wettbewerber und teilweise Lieferanten konsequent in der Strategieformulierung berücksichtigen.
Viele Unternehmen, insbesondere in technologisch anspruchsvollen Branchen, konzentrieren sich in ihren Forschungs- und Entwicklungsbemühungen auf die interne Verbesserung von Berechnungsmethodik, Risikobewertung oder Prozessverbesserung. Dies ist in großen Teilen auch Technologie-induziert so nicht mehr richtig. Der Kunden erwartet heute in Verbesserungsprozesse aktiv einbezogen zu werden. Ein Unternehmen muss sich heute auf den Anwendungsfall des Kunden konzentrieren und mithilfe von Technologie die eigene Produkt- und Dienstleistungskompetenz stets im Interesse des Kunden steigern.
Gemeinsamen mit dem Kunden aufgesetzte Prozesse zur Produktentwicklung und zum Rapid Prototyping müssen auf strategische Optionen ausgedehnt werden. Ein Unternehmen muss zudem erste Ergebnisse der Strategieentwicklung viel frühzeitiger in den Markt zurückspielen. Das Feedback der Kunden ist eine zentrale Informationsquelle für notwendige Anpassungen und gibt wichtigen Input für eine unterjährige Strategieanpassung.
- Der richtige Partner
Ein wesentlicher Treiber für Innovationsfähigkeit und Geschwindigkeit bei der Entwicklung marktreifer Produkte und Dienstleistungen ist eine kluge Kooperationsstrategie. Will ein Unternehmen Disruption aktiv betreiben und mit Hilfe seiner Kernkompetenzen einen bis dato nicht bedienten Markt erobern, mangelt es häufig an vertrieblichen Strukturen und Kenntnissen über Marktmechanismen. Diese bilden aber die Rationale dafür, dass Unternehmen Kooperation in seiner Bedeutung auf die Ebene der Unternehmensstrategie heben.
Bei der Partnerwahl muss der Mehrwert, den der Partner in punkto Technologie und/oder Marktzugang einbringt bewertet werden. Die Kooperationsform sollte das adressierbare Marktpotential reflektieren. In Abhängigkeit der Werthaltigkeit des zukünftigen Marktes können die Kooperationsformen von Rahmenvereinbarungen über Joint-Ventures bis hin zu Minderheitsbeteiligungen, ggf. mit dem Ziel einer späteren vollständigen Übernahme, reichen.
- Dreiklang: Absicherung des Kerngeschäfts, Vermeidung zukünftiger Disruptionsrisiken, Gestaltung von Geschäftsentwicklungspotentialen
Ein permanentes Technologie-Screenings berücksichtigt stets zwei Aspekte: Die Absicherung des Kerngeschäfts durch Aufrechterhaltung marktgerechter Innovationszyklen mit bekannten (und häufig bereits genutzten) Technologien und das Screening neuer oder weiter entwickelter Technologien, die einen Impact auf das Kerngeschäft haben. Die Disruptionsrisiken in etablierten Märkten sind teilweise erheblich. Sie können unabhängig von der eigenen aktuellen Marktposition und Profitabilität die eigene Position in kurzer Zeit empfindlich schwächen. Folgerichtig muss auf Basis der eigenen Kernkompetenzen geprüft werden, wie andere Märkte disruptiert werden können – aber auch welches Risiko für das eigene Geschäft besteht.
Innovation und hieraus resultierende neue Geschäftsansätze benötigen zweifelsfrei einen geschützten (kreativen) Raum. Dieser darf aber weder räumlich noch organisatorisch zu weit vom Kerngeschäft entfernt sein. Benötigte Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden, um Geschäftsentwicklung ernsthaft zu betreiben. Daneben bedarf es eigener Strukturen, Prozesse und Regelwerke. Etablierte Governance Strukturen und der (auch mentale) Verbleib im gewohnten Umfeld bremsen Innovationen, da diese mit Maßstäben eines etablierten Geschäftes gemessen werden. Auf der anderen Seite gilt es, im engen Austausch mit der Kernorganisation Maßnahmen mit Blick auf Realisierungswahrscheinlichkeiten kritisch zu hinterfragen. Die Praxis zeigt, dass insbesondere bei fehlender Einbindung der vertrieblichen Organisationen und intransparenter Kommunikation des Mehrwertes für das Unternehmen, die handelnden Personen zwar innovative Ideen, aber keine relevanten Umsätze generieren werden.
Abbildung 1 Strategische Szenarien agil entwickeln.
Conditio sine qua non: strategiesche Szenarien agil entwickeln
Mit der rasanten Weiterentwicklung führender Technologien verlieren klassische Planungshorizonte von drei bis fünf Jahren an Bedeutung. Digitale Technologien unterliegen einem wesentlich schnelleren Wandel als Hardware-basierte wie Robotik oder Additive Fertigung. Es genügt nicht mehr einmal pro Jahr einen Strategieprozess aufzusetzen. Vielmehr muss dieser unterjährig immer wieder hinterfragt und modifiziert werden (Abb. 1). Das ist insbesondere wichtig, um Disruptionsrisiken und Geschäftsentwicklungspotentiale frühzeitig zu erkennen und entsprechend handlungsfähig zu bleiben.
Dies gilt vor allem für die Kernelemente Markt- und Technologieanalyse. Genau hier entsteht die Notwendigkeit strategischer Agilität. Unternehmen entwickeln wesentlich kurzzyklischer strategische Szenarien, um schnell handlungsfähig zu sein. Idealerweise werden Maßnahmen in repräsentativen Marktsegmenten getestet, um Feedback aus dem Markt in die weitere Konkretisierung der globalen Strategie zu übernehmen. Teilweise sind Unternehmen gezwungen konkurrierende Technologien gleichzeitig zu verfolgen, da in jungen Technologiefeldern nicht abzusehen ist, welche Technologie sich als Primus durchsetzen wird.
Neue Blickwinkel gefragt
Eine vergleichsweise komplexe und kurzzyklische Strategieentwicklung benötigt zur Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit mehr Diversität in den Denkweisen derer, die Strategieentwicklung betreiben. Folgerichtig setzt sich eine branchen- und fachfremde Besetzung auf allen Ebenen mehr und mehr durch. Strategieberatungen suchen bereits seit einigen Jahren explizit nach natur- oder geisteswissenschaftlichen Kandidaten, die eine andere Denkweise und Problemlösungskompetenz mitbringen. Gerade in der Ausrichtung des Unternehmens gilt es, Diversität mit all seinen Facetten einkehren zu lassen – „Diversity of thought“ ist Trumpf. Denn: Denkmuster werden kulturell und durch die Ausbildung gezeichnet. Die Ausbildung prägt vor allem die Herangehensweise an Themen. Die unterschiedlichen kulturellen Prägungen von Mitarbeitern gilt es intelligent in Strategieprozesse einzubinden, um einen notwendigen regionalen Fokus auch in der Strategieformulierung globaler Unternehmen im Blick zu haben. Es gilt den Bias der eigenen kulturellen Prägung im Stammsitz zu überwinden. Die Diversität in Altersstrukturen und Geschlechtern rundet den breiteren Fokus ab.
Burkhard Wagner & Christian Weber