November 23
Point of View:
Sicherstellung gesicherter Stromerzeugungskapazitäten bei fortschreitender Energiewende
A. Schwenzer, C.Langegger
Management Summary
Europa verfolgt das übergreifende Ziel, ausreichend gesicherte Leistung für die Stromerzeugung vorzuhalten. Gleichzeitig gilt es, die Energieerzeugung mittel- bis langfristig klimaneutral sicherzustellen. Neben dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien, liegt das politische Augenmerk dafür auf sogenannten „H2-ready“ Kraftwerken, also wasserstofffähigen bzw. wasserstofftauglichen Kraftwerken, um die (spätere) Klimaneutralität der Energieerzeugung sicherzustellen. Diese haben zum Vorteil klimafreundlich und dennoch witterungsunabhängig zu sein – ein elementarer Vorteil gegenüber dem Großteil erneuerbarer Energien.
Für Deutschland bedeutet dies vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernkraft und der Kohleverstromung eine besondere Herausforderung. Denn durch den erfolgten Atomausstieg und dem von der Koalition beabsichtigten Ausstieg aus der Kohle bis 2030, entfällt ein relevanter Bestandteil der steuerbaren Erzeugungskapazität. Durch die gleichzeitig steigende Elektrifizierung wird im Jahr 2030 zeitweise eine bundesweite Kapazitätslücke von bis zu 30 Gigawatt (GW) erwartet.
Eine signifikante Lücke öffnet sich also bereits in den kommenden sieben Jahren. Die Bauzeit neuer Kraftwerke, die ca. vier bis acht Jahre beträgt. Planung und Bau dieser Anlagen haben demnach im besten Fall bereits begonnen oder starten kurzfristig. Bisher fehlen jedoch zentrale Rahmenbedingungen und rechtssichere Regelungen auf europäischer und nationaler Ebene, sodass Energieunternehmen aktuell auf eigenes Risiko handeln, um das Schließen der Erzeugungslücke in der vorgegebenen Zeit noch zu ermöglichen.
Politischer Rahmen in Deutschland
Trotz Hochdruck in den Diskussionen verzögern sich politische Entscheidungen, die richtungsweisend für das Handeln von Energieunternehmen sind. Neben den erwarteten Ausschreibungen von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, gilt dies für die Gesetzgebung und Planungssicherheit für die Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland. Auch das zukünftige Strommarktdesign ist offen.
Seit Februar gibt es eine offene Diskussion über das Design, welches die Ziele berücksichtigen soll, ab 2030 mind. 80% der Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien zu generieren. In der Diskussion werden (1) effiziente Investitionsanreize zur Beschleunigung des nachhaltigen Ausbaus, (2) steuerbare Kapazitäten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit, (3) die Flexibilisierung der Stromnachfrage z. B. über Energiespeicher oder Nachfragesteuerung sowie (4) mögliche Hebel zur Stärkung des lokalen Strommarktes behandelt. Unter anderem der BDEW spricht sich für einen zentralen Kapazitätsmarkt aus, der, unterstützt durch langfristige Abnahmeverträge (PPAs), die Versorgungssicherheit garantieren soll.[1] Bisher spricht sie die Bundesregierung jedoch nicht für einen solchen Kapazitätsmarkt aus, sondern prüft alternative Wege, um wasserstofffähigen Gaskraftwerken bzw. Wasserstoffkraftwerken eine gesicherte Einnahmequelle zu bieten.[2] Am 17. Oktober diesen Jahres wurde zwischen den europäischen Energieministern eine Einigung erzielt, dass das künftige Strommarktdesign auf bilateralen Differenzverträgen (Contracts for Difference) und PPAs gestützt sein soll. Dies ist insbesondere in der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland ein wichtiger Schritt, um die Diskussionen auf europäischer und nationaler Ebene weiterzuführen.
Im August 2023 bestätigte die Bundesregierung bereits die finanzielle Förderung wasserstoffbetriebener Kraftwerke und Wasserstoff-Hybrid Kraftwerke, z. B. Wind- und Photovoltaikanlagen mit wasserstoffbasierten Stromspeichern (je mit einer Gesamtleistung von 4,4 GW) sowie wasserstofffähiger Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 15 GW, die bis spätestens 2035 auf Wasserstoffbetrieb umgestellt werden.[3] Rechtliche Grundlagen finden sich im § 39 EEG. Konkrete Förderbedingungen und Rahmenbedingungen zur Ausschreibung fehlen jedoch bisher und sind auch von einer europäischen Einigung abhängig.
Herausforderungen für die nationale Energieerzeugung
In Deutschland steigt die Erzeugung aus erneuerbaren Energien schon jetzt massiv an. Insgesamt waren es 254 Terawattstunden (TWh), die 2022 in Deutschland aus erneuerbaren Energien generiert wurde. Dies entspricht ca. 44 % der nationalen Bruttostromerzeugung (577,3 TWh) und etwa 49 % des nationalen Stromverbrauchs 2022 (484,2 TWh). Nach Abzug des Eigenverbrauchs durch die Kraftwerke und zwischenstaatliche Stromabkommen, verblieb ein Nettoexport i. H. v. 9 TWh – ein Plus für die nationale Stromerzeugung.
Abbildung 1: Gesamterzeugung und Anteil erneuerbare Energien
Quelle: AG Energiebilanzen, Stand Februar 23
Mit Blick auf die Zukunft gibt es jedoch zwei wesentliche Veränderungen zu berücksichtigen: Zum einen entfällt durch den beabsichtigen Kohleausstieg bis 2030 neben der Kernenergie eine weitere relevante Energiequelle. Zum anderen geht das BMWK aufgrund der voranschreitenden Elektrifizierung mittlerweile von einem gesteigerten Strombedarf i. H. v. 750 TWh im Jahr 2030 aus. Nimmt man nun das ausgesprochene Ziel, dass 80% des Strombedarfs durch Erneuerbare Energien gedeckt werden sollen, müssten diese ca. 600 TWh p.a. erzeugen. 20% des Strombedarfs, ca. 150 TWh, würden weiterhin durch konventionelle Energieträger erzeugt.
A – Herausforderungen im Bereich Erneuerbare Energien
Unter Berücksichtigung der bestätigten Ausbaupläne der Bundesregierung und den aktuellen Kraftwerkseffizienzen, können im Jahr 2030 ca. 541 TWh Strom aus Erneuerbaren Energien produziert werden. Dies entspricht einem Gap zum Zielwert von knapp 60 TWh Strom im Jahr, also in etwa 30 GW installierter Kraftwerksleistung. Zudem verbleibt die Herausforderung, dass der Großteil erneuerbarer Energien witterungsabhängig ist und am Beispiel der Solarenergie vornehmlich in den Monaten generiert wird, in denen es ohnehin verminderten Strombedarf gibt. Dadurch kann bei Erreichen der erwarteten Spitzenlast von 120 Gigawatt die Lücke in der Stromerzeugung noch gravierender sein.
B – Herausforderungen im Bereich der Konventionellen Energieträger
Am Beispiel der oben stehenden Grafik wird deutlich, dass nach Abschalten der Kohle- und Kernkraftwerke vornehmlich Erdgas-betriebene Kraftwerke verbleiben, um den genannten Anteil des Energiebedarfs i. H. v. 20 % durch Konventionelle Energieträger (ET) zu decken. Im Jahr 2020, vor dem Ukraine-Krieg, betrug die Energieerzeugung durch Erdgas etwa 60 TWh. Dies entspricht etwa 23 % der steuerbaren Energie. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren es nur 38 TWh. Dem gegenüber steht ein geplantes Soll i. H. v. 150 TWh im Jahr 2030. Auch unter Berücksichtigung einer verstärkten Ausnutzung bestehender Kraftwerkskapazitäten verbleibt ein Gap zu den Zielwerten konventioneller Energieerzeugung.
Abbildung 2: Energieerzeugung und -verbrauch
Quelle: Eigene Darstellung aus Daten des BMWK, SMARD
Daraus resultieren zwei maßgebliche Handlungsfelder:
(1) Um die durch erneuerbare Ressourcen gewonnene Energie auch in den starken Verbrauchszeiten zu nutzen, bedarf es Möglichkeiten der Speicherung und Rückverstromung.
(2) Zur Deckung der Residuallast bedarf es weiterhin steuerbare Kraftwerke, die gesicherte Leistungen über das gesamte Jahr erzeugen
Für beide Punkte fokussieren sich Wirtschaft und Politik aktuell auf Wasserstofftechnologie. Dies bedeutet eine Umstellung bestehender und zukünftiger Kraftwerke, aber ebenso den Ausbau der erforderlichen Infrastruktur, um die zukünftigen nationalen Kapazitäten und insb. die Wasserstoff-Logistik zur Erzeugung, Transport und Speicherung zu ermöglichen.
Handlungsdruck für Energieunternehmen
Aufgrund des fehlenden Regelwerks aus der Politik müssen Energieunternehmen auf eigenes Risiko handeln, um die Stromwende voranzutreiben.
Als Beispiel hat RWE im Juli den Auftrag an ein italienisch-spanisches Konsortium erteilt, ein Genehmigungsverfahren für ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk mit einer Leistung von 800 MW zu starten, welches bis 2030 am Standort in Weisweiler gebaut werden soll. „Mit der beauftragten Genehmigungsplanung gehen wir in Vorleistung, um die Chance einer Fertigstellung bis 2030 offenzuhalten“, betonte Roger Miesen, CEO der RWE Generation SE. „Die finale Investitionsentscheidung zum Bau des Kraftwerks kann aber erst erfolgen, wenn die Wasserstoff-Netzanbindungen und ein wirtschaftlicher Betrieb der Kraftwerke durch passende Rahmenbedingungen ermöglicht wird.“[4]
Auch die LEAG plant wasserstofffähige Kraftwerke an ihren Standorten. Bis 2030 soll eine „Gigawatt Factory“ entstehen, die über Photovoltaik und Windkraft Energie von bis zu sieben Gigawatt produzieren soll. Für die Speicherung und Rückverstromung plant das Unternehmen den Neubau von H2-ready-Kraftwerken. „Unsere Pläne zur Errichtung unserer Zukunftskraftwerke sind bereits weit vorangeschritten, jetzt gilt es, seitens der Politik das Tempo beizubehalten, Rahmenbedingungen für ein passendes Strommarktdesign möglichst noch in diesem Jahr zu definieren und Genehmigungsprozesse im Sinne einer erfolgreichen Energiewende zu beschleunigen. Nur dann kann der politisch gewollte ambitionierte Zeitplan auf dem Weg zur grünen Grundlast eingehalten werden“, sagte LEAG-Vorstandsvorsitzender Thorsten Kramer.[5]
Dr. Andreas Reichel, CEO von STEAG und Iqony ergänzt gegenüber Advyce & Company: „Entscheidend für einen erfolgreichen Zubau der dringend benötigten Kraftwerkskapazitäten ist nicht nur Geschwindigkeit bei der Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen. Vielmehr geht es angesichts zahlreicher politischer Risiken insbesondere um Investitionssicherheit. Und schließlich geht es darum, dass die Anlagen dort entstehen und betrieben werden können, wo sie im Stromsystem gebraucht werden. Wir verfügen mit unseren bestehenden Kraftwerksstandorten über ideale Voraussetzungen, um schnell bis zu drei Neubauprojekte angehen zu können – wenn man uns lässt.“
Conclusio
Die Zielsetzung der verstärkten Nutzung von Wasserstoff in Kraftwerken sowie zur Speicherung und Rückverstromung gewonnener Energie ist klar. Die Aussagen der Bundesregierung zur Förderung sind positiv zu bewerten, reichen jedoch noch nicht aus, um die erforderliche Planungssicherheit zu gewährleisten und damit die notwendige Geschwindigkeit in der Stromwende zu erreichen.
Energieunternehmen treten weitestmöglich in Vorleistung, um die kurzfristige Handlungsfähigkeit sicherzustellen, sobald der politische Startschuss gegeben ist. Darunter fallen der Abschluss von Partnerschaften mit anderen Energieunternehmen und Kooperationspartnern zu gemeinsamen Initiativen und Projekten in der Forschung und Weiterentwicklung der Technologie, aber auch Initiativen zur Vorbereitung von Genehmigungsverfahren und der erwarteten Ausschreibung.
Aufgrund der aktuell verbleibenden Unsicherheiten beinhalten diese Aktivitäten nicht zweckdienliche Komplexität durch die notwendige Berücksichtigung verschiedener Szenarien. Für die Beschleunigung der Aktivitäten bedarf es Handlungssicherheit der Energieunternehmen. Und diese muss so schnell wie möglich durch rechtsverbindliche Regelungen erreicht werden. Nur so kann die erforderliche Transformation des Energiemarkts bis 2030 gelingen.
[1] Bundesregierung muss bei Strommarktdesign schnell Klarheit schaffen | BDEW
[2] Steuerbare Kapazitäten der Plattform Klimaneutrales Stromsystem | BMWK
[4] RWE schafft Voraussetzungen für Errichtung eines wasserstofffähigen Gaskraftwerks in Weisweiler
[5] Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde soll zum grünen Zukunftsstandort umgebaut werden | LEAG.de