Die Neuentdeckung Amerikas
Die USA ist seit Gründung der Bundesrepublik einer der wichtigsten, lange Zeit sogar der wichtigste, Handelspartner Deutschlands gewesen. Mit dem Aufstieg Chinas zur globalen Wirtschaftsmacht, löste das „Reich der Mitte“ die USA als wichtigsten Partner Deutschlands ab. Schon zum sechsten Mal in Folge war es im Jahr 2021 China, das auf dem Treppchen der deutschen Außenhandelspartner ganz oben steht. 245,9 Milliarden Euro wurden zwischen beiden Nationen gehandelt. Damit aber nicht genug. Selbst die Niederlande mit 205,9 Milliarden Euro hat die USA mittlerweile überholt. Über den großen Teich gehen jährlich in beide Richtungen (nur) noch Waren im Wert von 194,2 Milliarden Euro. Allerdings sind die USA nach wie vor der größte Importeur deutscher Produkte. Angesichts der jüngsten, globalen politischen Entwicklungen stellt sich die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Washington und Berlin entwickelt. Kommt es zur Renaissance dieser so lange erfolgreichen und stabilen Entente?
Abbildung 1: Wichtigsten Handelspartner Deutschlands nach Wert der Exporte im Jahr 2021. (Quelle: Statista; Statistisches Bundesamt; ID 2876
AUF BEWÄHRTE PARTNER BAUEN
Die aktuelle Lage des Ukraine Krieges verursacht einen unmittelbaren Effekt auf Unternehmen und Menschen. Während viele Staaten vom Krieg profitieren, beispielsweise Indien, die anstelle Deutschlands das billige russische Gas kaufen und dabei in keinerlei moralischen Zwiespalt geraten, hat Deutschland, wie rund die Hälfte der G20-Staaten, erhebliche Sanktionen gegen Russland eingeführt. Diese sind politisch mehr als sinnvoll und gerechtfertigt, haben aber natürlich einen Rückdrall-Effekt auch auf die deutsche Wirtschaft. Stark gestiegene Energiepreise und der Wegfall einer wichtigen Absatzregion sind gravierende Folgen. Gleichzeitig wächst in der deutschen Gesellschaft der Glaube daran, die eigenen Beziehungen zu undemokratischen und menschenrechtsverletzenden Nationen grundlegend zu überdenken. Und dies betrifft eben auch den Handelspartner China in besonderem Maße. Eine Konsequenz ist die Suche nach neuen, wertekonformen Partnern rund um den Globus. Und der Blick sollte dabei ganz bewusst und fokussiert auch (wieder) stärker über den Atlantik gehen. Es gilt heute, die Trump-Ära mit ihren gegenseitigen Sanktionen konsequent zu beenden und zum vertrauensvollen Verhältnis der Vergangenheit zurückzukehren. Die Notwendigkeit der Stärkung der westlichen Gemeinschaft ist als eine Lehre des Ukraine-Krieges unabdingbar, die Konzentration auf den US-Markt ökonomisch-logische Folge. Gleichsam muss auch der Anteil nicht in der Bundesrepublik hergestellter Waren an den Ausfuhren dt. Unternehmen (aktuell 24,5 Prozent) deutlich sinken, um unsere Abhängigkeiten zu verringern.
Abbildung 2: Deutsche Exporte nach Russland bis 2022. (Quelle: Statista; Statistisches Bundesamt; ID 291062)
VON DEN US-AMERIKANISCHEN INVESTITIONEN PROFITIEREN
Die politische und wirtschaftliche Ausgangslage in den USA hat deutliche Gemeinsamkeiten mit der Situation Deutschlands und der gesamten EU. Starke Sanktionen gegen Russland, hohe finanzielle und militärische Leistungen an die Ukraine. Hinzu kommen entscheidende Halbzeitwahlen in einer angespannten Situation innerhalb des Landes. Die US-Wirtschaft ist nach der größtenteils überstandenen Corona-Krise im Aufschwung und das BIP stieg auf knapp 23 Billionen US-Dollar im Jahr 2021, mit wachsender Tendenz, auch wenn die Gefahr einer Rezession nicht gänzlich zu leugnen ist. Vor allem durch große Investitionen in die Infrastruktur und eines erst kürzlich verabschiedeten Klima-Pakets, mit einem Volumen von 370 Milliarden US-Dollar, sieht die Auftragslage, vor allem für das produzierende Gewerbe, exzellent aus. Und davon profitieren nicht nur US-Unternehmen, sondern auch zahlreiche deutsche. Firmen, sowohl große Spieler als auch Hidden Champions, die ihren bereits jetzt hohen amerikanischen Marktanteil weiter ausbauen könnten. Temporär repräsentiert das produzierende Gewerbe knapp 20 % des US-BIPs. Vor allem für Firmen im Energie- und Infrastrukturmarkt bietet die USA einen attraktiven Markt als alternative Absicherung gegenüber unsicheren Absatzregionen – wie China und Russland. Deutsche Unternehmen müssen diese Chancen JETZT nutzen, um sich zeitnah unabhängiger von bestimmten Ländern zu machen.
Abbildung 3: BIP in den USA bis 2027. (Quelle: Statista; IMF, ID 14418)
DEUTSCHE PRODUKTE ALS BESSERE ALTERNATIVE
Nach lange stagnierenden deutschen Direktinvestitionen in den USA, verbessert sich die Situation von knapp 200 Milliarden im Jahre 2012 um satte 100 Prozent auf 403.65 Milliarden im Jahre 2021. Für noch nicht investierte Firmen ist es wichtig, ihre aktuelle Lage genau zu evaluieren und festzulegen, ob eine Ressourcenumverteilung auf den US-Markt Sinn macht. Denn etwa 20 Prozent der US-Importe von insgesamt 3.4 Billionen US-Dollar beziehen sich allein auf den chinesischen und russischen Markt. Diese Zahl könnte und wird wahrscheinlich zurückgehen – bei gleichbleibender Nachfrage. Genau hier könnte deutschen Unternehmen ein neuer, attraktiver Absatzmarkt erwachsen. 25 Prozent der chinesischen Exportprodukte fallen in den Bereich Maschinen und Elektrogeräte; während es bei deutschen Exporten sogar 35 Prozent sind. Während die deutschen Produkte vor allem mit hochwertiger Qualität überzeugen, sind die chinesischen Waren eher kostengünstige und funktionale Erzeugnisse. Ähnlich ist es in vielen anderen Industrien, etwa bei optischen, fotografischen, technischen und medizinischen Geräten oder in der Automobilbranche. In diesen Bereichen ist der deutsche Qualitätsanspruch weiterhin ein echter USP. Es mag aber im Einzelfall durchaus Sinn machen, auch den Billigmarkt anzuvisieren, falls die Sanktionen gegen China verstärkt werden sollten. Große Chancen liegen auch in der Chemiebranche. Hier werden hohe Anteile aus China in die USA exportiert, obwohl viele deutsche Unternehmen Innovations- und Qualitätsführer sind. Falls China als großer Exportpartner der USA ausfallen sollte, eröffnet sich neues Potenzial für deutsche Player.
Abbildungen 4: Wichtigste Importländer der USA im Jahr 2021. (Quelle: Statista; UN Comtrade; ID 165923)
UMLAGERUNG DER INTERESSENSGEBIETE
Auch für US-Unternehmen eröffnen sich in der aktuellen Situation neue Chancen, denn auch Deutschland wird seine Importe aus den USA wieder erhöhen. Bereits jetzt importiert Deutschland jährlich Waren im Wert von über 70 Milliarden Euro (2021) aus den USA. Während die Vorteile des Handelspartners China hauptsächlich bei den Kosten – insbesondere bei elektronischen Geräten – liegen, und hier auch schwer zu toppen sind, könnten die USA in anderen Bereichen, etwa im Maschinenbau, durchaus punkten. Auch gehen wir davon aus, dass die Direktinvestitionen der USA auf einem hohen Niveau bleiben. Bereits 2020 waren 8,9 Prozent der amerikanischen Direktinvestitionen in Deutschland angesiedelt. Konkurrenz erwächst Deutschland aber nach wie vor und vor allem in Süd-Ostasien und dem Nahen Osten, wo die USA ihre Partnersuche durchaus intensivieren.
VORAUSSCHAUENDES HANDELN ERFORDERLICH
Insgesamt kann die aktuelle, auf den ersten Blick schwierige Ausgangslage für deutsche Unternehmen auch neue Chancen bieten. Voraussetzung hierfür ist die Rückbesinnung auf eine alte und verlässliche Partnerschaft. Es wäre naiv anzunehmen, Handelsbeziehungen mit China würden in absehbarer Zeit komplett obsolet. Dafür sind Beziehungen, Verflechtungen und Verpflichtungen vieler Unternehmen schlicht zu intensiv. Aber, es hat Sinn, Wachstumsszenarien auf mehrere Füße zu stellen und dabei alte Freunde, die die eigenen Werte teilen, wieder stärker zu berücksichtigen.