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Wie sollte man mit den aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen umgehen?

Die Dringlichkeit, eine sichere und robuste Supply Chain zu gewährleisten, hat in den letzten Monaten enorm zugenommen. Strukturelle Probleme wie der Klimawandel und globale geopolitische Verschiebungen sowie plötzlich auftretende Krisen wie die COVID-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben Unternehmen und ihre Supply Chain unter Druck gesetzt, was zu Materialengpässen, Marktbeschränkungen und in die Höhe schießenden Preisen geführt hat. So sind die Kontainerfrachtraten von China nach Europa in der Spitze um 800 %1 gestiegen! Daher ist es umso mehr von Bedeutung, die Supply Chain als Ganzes neu zu überdenken.
Natürlich sind Unternehmen, die stark von einzelnen Herkunftsländern wie China, Russland oder der Ukraine abhängig sind, besonders betroffen. Die oben genannten Herausforderungen wirken sich jedoch auf jedes Unternehmen aus, unabhängig davon, ob es lokal oder global aufgestellt ist. Doch wie geht man mit dieser Unsicherheit um, wenn Unternehmen nach einer vorhersehbaren Zukunft und stabilen Prozessen suchen? Wie kann man Veränderungen bewältigen und gleichzeitig Wachstum anstreben?
Das Wichtigste zuerst: „Business as usual“ ist keine Option. Die Einsicht zur Notwendigkeit von Veränderungen ist der erste wichtige Schritt für die Zukunft. Zudem können marginale Änderungen in der Planung oder Ausführung der Supply Chain für den aktuellen Kontext geeignet sein, aber im Zweifel nicht ausreichen, um den sich ständig ändernden externen Faktoren gerecht zu werden. Daher sollten Unternehmen ihre Supply-Chain-Netzwerke und -Systeme hinterfragen. Diese ist umso wichtiger, da Kunden häufig eine sofortige und zuverlässige Verfügbarkeit der Waren verlangen. Dies gilt für B2C-, aber auch für B2B-Geschäfte. Die (Neu-)Gestaltung der Supply Chain erfordert jedoch eine ganzheitliche Sichtweise, um sicherzustellen, dass alle relevanten und notwendigen Faktoren, die erfolgreiche Veränderungen beeinflussen, in ihrer ständig wachsenden Komplexität berücksichtigt werden. Bei der Gestaltung von Supply-Chain-Netzwerken und -Systemen müssen Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Vertriebsaktivitäten sowie deren Interdependenzen berücksichtigt werden. Die Komplexität der Supply Chain zeigt sich in der Vielfalt ihrer Aufgaben (siehe Abbildung 1). Änderungen erfordern umfangreiche Erfahrungen und eine entsprechende Methodik.


Abbildung 1: Supply Chain-Framework (Quelle: ADVYCE)

Eine Änderung des Konzepts der Supply Chain kann eine Anpassung des Unternehmensnetzes oder des Footprints nach sich ziehen: Die Standorte der Produktions- und in größerem Maße auch der Lagereinrichtungen sind die Eckpfeiler der Warenverteilung. Der neu gestaltete Footprint sollte eine Antwort auf aktuelle und gleichzeitig zukünftige Herausforderungen sein, da die Investitionen relativ verbindlich und oft recht hoch sind. Daher ist die Skalierbarkeit des Supply Chain Footprints von enormer Bedeutung. Doch wie kann die Flexibilität in der Statik eines Supply Chain Netzwerks und Systemdesigns sichergestellt werden?

I. Die Identifikation der Parameter, die den Footprint der Supply Chain beeinflussen, sollte der erste Schritt der Analyse sein. Diese Parameter sind von Natur aus unterschiedlich und sollten definiert werden, bevor über Änderungen nachgedacht wird: (i) Marktanforderungen (einschließlich Vertriebskanäle, Lieferzeit, Auftragsart, usw.), (ii) die Unternehmensstrategie (einschließlich finanzielle/ESG2-Ziele, Marktposition, Mitarbeiterzufriedenheit, usw.), (iii) Standortanforderungen (Entfernung zum Kunden, Lieferleistung, Automatisierungsgrad, usw.) und (iv) Prozess und Organisation (zentral/dezentral, Lieferantenintegration, IT-Landschaft, usw.). Die Umsetzung von Optimierungsmaßnahmen in der Supply Chain erfordert ein ganzheitliches Verständnis der Thematik und der immanenten Veränderungen im Unternehmen.

II. Nach erfolgreicher Identifikation und Definition dieser Kriterien besteht das Ziel der ersten Phase in der Entwicklung eines breit angelegten, durchdachten und detaillierten Ansatzes, der zum einen eine gute Aufschlüsselung der durchzuführenden Analyseschritte liefert und zum anderen eine reibungslose Umsetzungsphase gewährleisten soll. Diese sogenannte Transparenzphase beginnt mit einer zeitintensiven Datenerhebung. Die hohe Qualität der Daten ist das Herzstück eines jeden Projektes und ihre Analyse ist oft der Schlüssel zum Erfolg: Gerade in der Supply Chain liefern Daten eine enorme Menge an Informationen über Parameter wie Transport, Preis und Menge – idealerweise für jede Lieferung. Erst nach einer solchen Analyse ist die Grundlage für eine umfassende Transparenz über die Ist-Situation gegeben. Durch die anschließende Visualisierung und Auswertung der Daten, z.B. in einem SQL-Cube, lassen sich erste Modelle des Supply Chain Footprints erstellen und mögliche Zielstandorte für neue Anlagen identifizieren.

III. Anschließend zielt das Konzeptdesign darauf ab, mögliche Supply Chain Footprint-Szenarien zu entwerfen. Nach der anfänglichen Definition spezifischer Parameter, anhand derer die Leistung und der Erfolg des neu definierten Netzwerks gemessen werden sollen (z.B. Durchlaufzeit, Kostenreduzierung, OTIF3 usw.), kann man auf der Grundlage eben dieser Parameter eine Szenariomodellierung vornehmen (Beantwortung der Fragen: Wie viele Standorte werden benötigt? Welche Kapazität sollten sie haben? Wo sollten sie angesiedelt werden?). Es werden mehrere Szenarien definiert und in einem iterativen Prozess ausgewählt, eliminiert oder angepasst, bis einige wenige Szenarien, die den oben genannten Zielen entsprechen, identifiziert sind. Diese Szenarien sind zwar aus betrieblicher Sicht sinnvoll, aber nicht unbedingt wirtschaftlich.

IV. Die ermittelten Szenarien sind zu vergleichen und finanziell zu validieren. Die Szenarien, die den Betriebszielen entsprechen, werden mit Hilfe von Finanzberechnungen detailliert untersucht, um das Szenario auszuwählen, das umgesetzt werden soll. Dazu werden für jedes ausgewählte Szenario sowohl wiederkehrende Effekte (z.B. Lager-, Versand-, Transport- und Finanzierungskosten) als auch einmalige Effekte (OPEX: Projektkosten, Abfindungen, Mitarbeiterschulungen, Sonderkosten, Anlaufkosten bei einem Drittanbieter und CAPEX: IT-Infrastruktur, Verpackungsmaschinen, Regale/Lagereinrichtungen, Stapler usw.) berechnet und miteinander verglichen. Um die finanzielle Stabilität der berechneten Szenarien zu bewerten, werden Sensitivitätsanalysen durchgeführt, die hauptsächlich auf Variationen des Volumens oder der Transportarten (volle LKW-Ladung, weniger als volle LKW-Ladung, Paketdienst, usw.) basieren.

V. Der letzte Schritt der Konzeptphase ist die Vorbereitung der Umsetzung. Die wichtigsten Meilensteine, Arbeitsabläufe und Maßnahmen werden in einem professionellen Project Management Office-Programm definiert. Anschließend wird das Implementierungsteam festgelegt, das die potenziellen Risiken und Gegenmaßnahmen während der Implementierungsphase ermittelt. Dieser Schritt ist entscheidend für den Erfolg des neu definierten Supply Chain Footprints, da die Auswirkungen auf die aktuelle Organisation und die Prozesse zahlreich sind.

VI. Eine Möglichkeit, die Flexibilität des Supply Chain-Netzwerks zu erhöhen, besteht darin, einen Teil fremd/an Dritte zu vergeben. Dies ermöglicht es dem Unternehmen, die Aktivitäten zu skalieren, wenn die Volumenschwankungen unvorhersehbar und/oder sehr groß sind. Die Vergabe an Dritte von Lagerhaltung und Versand und insbesondere von Transporttätigkeiten kann entscheidend sein. Dadurch können sich die Unternehmen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. In diesem Fall wird ein Ausschreibungsverfahren eingeleitet, um den besten Drittanbieter für das gewählte Szenario zu finden. Es beginnt mit der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen (einschließlich der Angebotsanfrage), gefolgt von der Festlegung eines Zeitrahmens für das Ausschreibungsverfahren. Anschließend werden die eingegangenen Angebote analysiert und auf Grundlage einer qualitativen und quantitativen Bewertung der Bieter und ihrer Angebote ein bevorzugter Anbieter ausgewählt.

VII. Aufgrund des neuen Footprints sollten die Ist-Prozesse für den Betrieb angepasst werden – insbesondere, wenn Dritdienstleister für Logistik beteiligt sind. Verschiedene Prozesse sind von Änderungen betroffen: Beschaffungsmanagement, Bestandsauffüllung, Auftragsabwicklung, Lieferkonsolidierung, Transportdisposition bis hin zu Retouren und Rückforderungen. Nach Identifikation der Prozesse, die sich durch die Anpassungen verändern können, gilt es, diese so anzupassen, dass sie mit der Unternehmensstrategie übereinstimmen und Probleme gar nicht erst entstehen können. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind nach unserer Erfahrung (i) die frühzeitige Einbindung der Funktionen zur Identifikation möglicher Änderungen und die Schulung der Mitarbeiter, (ii) die wiederkehrende Abstimmung mit Drittanbietern hinsichtlich der Prozessanforderungen (insbesondere Standard operation procedures), (iii) die Planung der IT-Kapazitäten für die Umsetzung und die wiederkehrenden Aktualisierungen und (iv) eine detaillierte Datenverfügbarkeitsprüfung (insbesondere Stammdaten) für das IT-Setup.

VIII. Nachdem nun die Prozesse für die Eröffnung, Schließung oder Verlagerung neuer Standorte eingerichtet sind, erfordert der Ramp-up/Down einen reibungslosen Übergang bei laufendem Betrieb. Zunächst müssen die Volumina für den Transfer definiert werden, was die Klassifizierung der Waren und des Produktportfolios für den Standort erfordert. Dazu sind verschiedene Parameter wie Lagerumschlagshäufigkeit, Reichweite, Sicherheitsbestand und Transportkapazitäten zu berücksichtigen, zu definieren und während der Verlagerung zu verfolgen.

IX. Der letzte Schritt der Umsetzungsphase besteht aus der Durchführung einer Hyper-Care-Phase zur Stabilisierung der neu etablierten Prozesse durch tägliche Besprechungen, um über die Praktikabilität der eingeleiteten Schritte zu berichten und bei Schwierigkeiten pragmatische Lösungen zu finden.

Abbildung 2: Dimensionen der ganzheitlichen Optimierung der Supply Chain (Quelle: A. Vercaigne)

Eine Veränderung des Supply Chain Netzwerk- und System-Designs ist hochkomplex und erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der Flexibilität, Fachwissen, moderne Datenanalysefähigkeiten sowie Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Implementierung bietet. Zweifelsohne ist eine solche Veränderung eine große Herausforderung für Unternehmen. Wir sind jedoch der Meinung, dass die endogenen und sicherlich noch mehr die exogenen Herausforderungen weiter zunehmen und die Akteure, die bereit sind, sich diesen Störungen zu stellen, darauf vorbereitet sein sollten.

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