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Welche Lehren können wir aus der Coronazeit für B2B-Vertrieb und -Marketing ziehen?

Rolf Friedrich | Markus Neuhaus

Thesen zu Vertrieb und Marketing in B2B-Geschäften für die Zeit nach Corona

Die letzten zwei Jahre haben nicht nur viele private Bereiche beeinflusst, auch Vertrieb und Marketing von B2B-Unternehmen haben sich massiv verändert. Inwieweit sich die alte Praxis, z.B. in Bezug auf das Thema der persönlichen Besuche, insbesondere durch viele Flächenvertriebe aber auch durch Key-Account-Organisationen wieder einstellen werden, ist fraglich. Wichtig ist hierbei nicht nur wie die Unternehmen selber zu dem Thema der persönlichen Termine stehen, sondern wichtig wird auch sein, wie die Kunden dieses Thema künftig handhaben wollen.

Wie diverse Studienergebnisse zeigen, wurden in den Corona Jahren die Umsatzziele in vielen Unternehmen nahezu erreicht, gleichzeitig wurden nur wenige Kunden persönlich besucht. Wurde der persönliche Kundenkontakt, der vielfach als so wichtig erachtet wurde, überschätzt oder hat sich tatsächlich etwas in unser aller Verhalten verändert? Dieser entscheidenden Frage gilt es im Zuge des „Neuanlaufs“ bzw. einer „Neuaufstellung“ im B2B-Vertrieb und -Marketing auf den Grund zu gehen. Wenn man es spitz formulieren möchte: „Haben wir trotz oder wegen unserem Vertrieb verkauft?“.

Für den Neuanlauf im B2B-Vertrieb gilt es insbesondere die Erkenntnisse aus den in Corona Zeiten gemachten Erfahrungen zu reflektieren. Wieso haben die Kunden auch ohne Präsenztermine gekauft? Welche Rolle haben die virtuellen Termine gespielt? Welche Rolle hat das Marketing gespielt? War es unsere Branche, die für Umsatzwachstum gesorgt hat, ohne das es einen vertrieblichen Einfluss gab?

Entscheidend ist hierbei, wie auch schon vor Corona, die relative Leistung des Unternehmens im Vergleich zum Wettbewerb zu betrachten –  haben wir Marktanteile gewonnen oder sind wir nur mit dem Markt „mitgeschwommen“?

Hierbei sollte man natürlich die persönliche Komponente auch im heute noch üblichen virtuellen Vertrieb nicht unterschätzen. Auch hier ist es wichtig zu verstehen, wie erfolgreich der Vertrieb auf virtuelle Termine umgestellt hat und wie im persönlichen Kontakt die Termine effektiv gestaltet bzw. auch die ihm zur Verfügung stehenden digitalen Werkzeuge effektiv durch den Vertrieb eingesetzt werden.

Eine entscheidende Frage ist, wieviel persönlicher Kontakt in Zukunft notwendig bzw. gewünscht ist. Eine These könnte sein, dass sowohl von Kundenseite aber auch von Seiten der B2B-Vertriebe wesentlich weniger persönliche Kontakte gewünscht bzw. erforderlich sind, dies insbesondere bei bestehenden, guten Kundenbeziehungen.

Wenn man dieser These folgt, stellen sich für die Ausgestaltung von B2B-Vertrieb und -Marketing weitreichende Fragestellungen, sowohl in Bezug auf die notwendigen Kapazitäten (Stichwort: Effizienzgewinn), viel mehr noch aber in Bezug auf die Kompetenzen der Mitarbeiter in Vertrieb und Marketing und natürlich in Bezug auf die weitere Ausgestaltung der Digitalisierung, die nachgewiesenermaßen im Verlaufe der letzten Monate und Jahre insbesondere auch im B2B-Vertrieb einen massiven Schub erhalten hat.

Auch wenn dieses Szenario für den Neuanlauf bzw. die Neuaufstellung im Vertrieb dramatisch klingen mag, stellt die aktuelle Situation, in der sich viele B2B-Vertriebe befinden auch eine große Chance dar, um sich wirklich hin zu einem „neuen Normal“ zu entwickeln.

Die Ausgestaltung dieses new Normals in B2B-Vertrieb und -Marketing erfordert einen ganzheitlichen bzw. systemischen Blick, um sicher zu stellen, dass alle relevanten bzw. notwendigen Einflussfaktoren eines erfolgreichen B2B-Vertriebes berücksichtigt werden. Als Gedankengebäude für diese systemische Betrachtung kann die folgende Übersicht dienen, die die 10 wesentlichen Erfolgsfaktoren für den B2B-Vertrieb zusammenfasst.

Wie könnte die Ausgestaltung eines neuen B2B-Vertriebs- und Marketingmodells auf Basis dieser Ausgangsthesen bzw. der Lehren aus der Corona Zeit aussehen?

Auf Basis der oben diskutierten Lehren und der daraus abgeleiteten Thesen kann man auf Basis einer systemischen Betrachtung der Erfolgsfaktoren für den B2B-Vertrieb, die hier nur auszugsweise erfolgen kann, das Vertriebsmodell der Zukunft (Stichwort: Vertrieb 4.0) neu denken.

Dieses neue Vertriebsmodell bzw. das Modell für den Marktangang in typischen B2B-Geschäften muss sich dabei nicht grundsätzlich von der klassischen Organisation unterscheiden. Auch in der Zeit nach Corona wird es typischerweise einen vertrieblichen Außendienst (in der Fläche und/oder Key-Account-Betreuung), einen technischen Außendienst, einen Innendienst und unterstützendes CRM bzw. sonstige digitale Werkzeuge geben. Es muss also keine grundsätzlichen organisatorischen Veränderungen im Sinne von grundsätzlich neuen organisatorischen Modellen geben. Soweit die gute Nachricht.

Allerdings wird sich der Inhalt der Arbeit in den jeweiligen Bereichen und Einheiten gemäß unserer Einschätzung massiv verändern. Hierzu im Folgenden einige Thesen, die wir mit diesem Artikel zur Diskussion stellen möchten.

Der eigentliche Vertrieb (vertriebliche Außendienst) wird in Zukunft vermutlich verstärkt für spezifische vertriebliche Aktionen eingesetzt werden, z.B. für die Einführung von neuen Produkten, Bearbeitung von Fokussegmenten oder die Bearbeitung von besonderen Kundengruppen. Hierbei wird auch weiterhin der persönliche Kontakt eine wichtige Rolle spielen, gleichzeitig aber auch kombiniert mit den virtuellen Möglichkeiten, in Abhängigkeit von den Kundenbedarfen. Damit wäre der typische Flächenaußendienst passé und auch in der Bearbeitung von Key-Accounts würde sich der vertriebliche Außendienst auf wenige/wichtige Kontakte bei den Fokuskunden konzentrieren. Insgesamt steigt damit die Effizienz im Außendienst und es sind weniger klassische Außendienstler erforderlich, die wir wahrscheinlich künftig auch gar nicht mehr haben werden (Stichwort: „war-for-talents“).

Hiermit erwächst für den klassischen Außendienst eine Herausforderung einerseits in Bezug auf die Steigerung bzw. die Hebung der Effizienzpotentiale, viel grösser wird jedoch der Transformationsbedarf bzgl. der vertrieblichen Kompetenzen sein, wenn es z.B. darum geht neue Produkte bzw. auch neue Kundensegmente vertrieblich zu bearbeiten.

Was für den vertrieblichen Außendienst gilt, gilt in gleichem Maße für den technischen Außendienst, den es in vielen B2B-Unternehmen gibt. Dies gilt sowohl für den persönlichen Kontakt durch den technischen Außendienst als auch für die Weiterentwicklung der Kompetenzen. Hinzu kommt die besondere Herausforderung für den technischen Außendienst in Bezug auf eine systematische Erfassung, Abbildung und zur Verfügungsstellung des spezifischen technischen Know-Hows zwecks wirksamer Unterstützung der vertrieblichen Aktivitäten.

Hier könnte man die These wagen bzw. die Forderung unterstreichen, dass es in Zukunft nicht nur den hybriden Vertriebsmitarbeiter in Bezug auf seine Fähigkeiten, persönliche und virtuelle Kundentermine wirksam zu gestalten, sondern auch seine Fähigkeiten in Bezug auf seine vertrieblichen und technischen Kompetenzen ausprägen muss.

So wie es im vertrieblichen und technischen Außendienst, gemäß unserer These, zu einer Veränderung kommen wird, wird sich auch der klassische Innendienst verändern (müssen).

Als Konsequenz der Veränderungen im Außendienst wird sich gemäß unserer Einschätzung nach die grundsätzliche Organisation des Innendienstes eher weniger ändern, vielmehr wird es auch hier zu einer starken Veränderung und damit zu einem Transformationsbedarf in Bezug auf die Arbeitsinhalte und Aufgaben bzw. Kompetenzen kommen.

Der Innendienst wird in Zukunft seine Aufgaben und damit evtl. auch seine organisatorischen Ausprägungen in Richtung eines eher aktiven und eines eher reaktiven Innendienstes ausprägen, so wie es heute auch schon in einigen B2B-Geschäftsmodellen existiert. Dies ist für einige Geschäfte nichts grundsätzlich Neues. Allerdings wird sich oder muss sich auch hier das Aufgabenspektrum ändern. So wie der vertriebliche oder auch der technische Außendienst in Zeiten von Corona es gelernt hat virtuelle Meetings mit Kunden durchzuführen, könnte es künftig auch zum Aufgabenspektrum vom aktiven Innendienst gehören den Außendienst bei den Kunden z.B. über virtuelle Termine zu unterstützen. Wenn der Kunde es akzeptiert, nicht alles in persönlichen Gesprächen mit dem Lieferanten zu klären, könnte in der virtuellen Ansprache des Kunden auch der aktive Innendienst im „Gespann“ mit dem vertrieblichen Außendienst eine erfolgsentscheidende und auch effiziente Rolle spielen.

Gleichzeitig könnte der eher reaktive Innendienst, der sich auf die eher repetitiven Aufgaben im Vertrieb fokussiert einerseits z.B. in einem virtuellen Shared-Service oder aber unterstützt durch eine Self-Service-Plattform für den Kunden (Stichwort: Ikea-Prinzip) seine Aufgaben gegenüber dem Kunden wahrnehmen.

Auch für den Innendienst würde sich damit einerseits ein wesentliches Effizienzpotential ergeben bei sich gleichzeitig massiv verändernden Arbeitsinhalten und Kompetenzanforderungen, was gemäß unserer These den viel größeren Transformationsbedarf auch im Innendienst deutlich macht.

Der aufgezeigte Veränderungs- bzw. Transformationsbedarf gilt dabei aber nicht nur für die Mitarbeiter im Außendienst und im Innendienst bzw. im Marketing. Vielmehr muss auch die Führung sich auf diese notwendigen Änderungen im Marktangang einstellen, um Veränderung auch wirksam in der Organisation umzusetzen bzw. ihre Nachhaltigkeit der Transformation sicher zu stellen.

Insgesamt ergibt sich aus den Erkenntnissen und Lehren, die sich aus der Coronazeit für den B2B-Vertrieb und -Marketing ziehen lassen und den möglichen Auswirkungen auf die Aufgaben im Vertrieb, insbesondere bei einer wirksamen Ausgestaltung dieses Veränderungsprozesses, eine große Chance für die weitere Entwicklung der Unternehmen. Damit auch für die weitere Entwicklung von jedem einzelnen Beteiligten, sei es im Außen-, im Innendienst, in Marketing oder aber auch in der IT, die den Veränderungsprozess begleiten bzw. unterstützen muss.

Empfehlungen und Ideen zu ersten Schritten hin zu einer B2B-Vertriebs- und Marketingtransformation, um die Lehren aus der Krise in Chancen zu verwandeln

„Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen“, Winston Churchill

Als Grundlage für eine Ableitung der Maßnahmen für eine wirksame Transformation des B2B-Vertriebes in der Postcoronazeit empfehlen wir das Gedankengerüst von Abbildung 1 heranzuziehen, um sicherzustellen, dass keine erfolgskritischen Faktoren im jeweiligen Geschäftsmodell vergessen werden.

Im Sinne einer Blaupause bzw. gemäß der 80:20-Regel lassen sich folgende wesentliche fünf Schritte, in Kenntnis der typischen Ausgangslage, aber auch in Kenntnis der typischen wesentlichen Stellhebel, ableiten.

  1. Insbesondere auf Basis der stark sichtbaren Veränderungen im Kundenangang sollte die „Stimme des Kunden“ die Ausgangsbasis für jedwedes Handeln sein. Welche Erfahrungen hat der Kunde in den Coronazeiten, insbesondere in Bezug auf persönliche Besuche durch den Außendienst gemacht und was erwartet er in Zukunft? Wichtig ist hierbei auch der Aspekt relativ zum Wettbewerb. Wenn wir selbst glauben nicht mehr persönliche Termine machen zu müssen, der Wettbewerb aber wieder in die alten Muster verfällt und der Kunde nicht dagegen ist, könnte dies zu einem wettbewerblichen Nachteil führen.
  2. Auf Basis der Sicht des Kunden auf den Vertrieb und das Marketing der Zukunft, lassen sich dann die Kundensegmente gemäß ihren Anforderungen und Erwartungen (z.B. in Bezug auf persönliche Kontakte, Betreuung durch den aktiven Innendienst oder aber Betreuung mittels Self-Service-Portalen) neu zuschneiden. Auf Basis dieses neuen Zuschnitts können dann segmentspezifische Services (neu) definiert werden und entsprechende Service- und Besuchskonzepte abgeleitet werden.
  • Die Besuchs- und Servicekonzepte, ergänzt um beispielsweise Portallösungen für die „Selbstbedienung“ durch den Kunden bilden die Basis für ein entsprechendes Mengengerüst, um die nötigen Ressourcen abzuschätzen, in Qualität und Quantität, um das Geschäftsmodell mit Leben zu füllen. Eine gewisse „Ressourcenverknappung“ kann sich dabei als hilfreich erweisen, insbesondere wenn man die Hebung von Effizienzpotentialen anstrebt, wobei bei dieser Transformation eindeutig das Thema Effektivität im Vordergrund stehen sollte.
  1. Stehen Quantität und Qualität an Mitarbeitern aber auch an notwendigen IT-Ressourcen fest, können die Aufgaben, Kompetenzen und die Verantwortungen (AKVs, RASCI, etc.) gemäß dem neuen inhaltlichen Zuschnitt der Vertriebs- und Marketingorganisation ausgestaltet, kommuniziert und auch trainiert werden.
  2. Schlussendlich gilt es durch eine effektive Ausgestaltung der Steuerungs- und Managementroutinen die Umsetzung der neuen Ausgestaltung bzw. Aufstellung der Vertriebs- und Marketingorganisation sicherzustellen. Hierbei ist insbesondere die Führung in Vertrieb und Marketing gefordert. Auch sie muss sich an die geänderten Anforderungen seitens der Kunden aber auch seitens der Mitarbeiter anpassen, insbesondere in Bezug auf den Führungsmodus.

Die erwähnten Lehren und daraus abgeleiteten Thesen bzw. die daraus abgeleitet „Blaupause“ zu einer neuen Ausgestaltung der Vertriebs- und Marketingfunktion verstehen wir als Thesen. Wir wollen damit die Diskussion anregen, um insbesondere den B2B-Vertrieb, der schon in „normalen“ Zeiten typischerweise großes Verbesserungspotential aufweist, neu zu denken und die Chance zu ergreifen diese wichtige bzw. erfolgskritische Funktion zukunftsgerichtet in den Unternehmen neu aufzustellen.

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