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Wirtschaftliche Herausforderungen und Lösungsansätze für deutsche Krankenhäuser

Herr Prof. Holzgreve, Senior Advisor (Healthcare), im Interview mit Advyce

Herr Prof. Holzgreve, wie schön, dass Sie jetzt bei Advyce & Company an Bord sind und gemeinsam mit uns den Krankenhaussektor dabei unterstützen, die derzeitigen strukturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Lassen Sie uns heute über eben jene Herausforderungen und darüber sprechen, welche Lösungen Sie sehen, um die derzeitigen Probleme nachhaltig zu lösen.

WH: Das ist ein wichtiges und komplexes Thema, welches nicht nur die einzelnen Krankenhäuser, die mehrheitlich unter Druck stehen, angeht, sondern unsere Gesellschaft insgesamt, die eine in der Breite gutes Gesundheitsversorgungs-System zukunftsfähig machen muss. Der Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat gerade das neue Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KHVVG) über die Hürde des Bundesrats gebracht, so dass in Zukunft im stationären Bereich nicht mehr nur nach den Fallzahlen im DRG- System die Vergütung durch die Krankenkassen erfolgen wird sondern neue Vorhalte-Finanzierungen eingeführt werden und den einzelnen Krankenhäusern nach definierten Qualitätskriterien wie Mindestmengen und ärztlicher Besetzung Leitungsgruppen zugeteilt werden. Dabei leistet das Land NRW mit dem Gesundheitsminister Laumann Pionierarbeit.

Wie schätzen Sie als Experte die derzeitige wirtschaftliche Lage der deutschen Krankenhäuser ein?

WH: Alle Krankenhäuser in Deutschland und sogar weltweit stehen unter Druck. Bei der Mehrzahl der etwa 1900 Krankenhäuser in Deutschland ist die wirtschaftliche Lage angespannt, und einige sind aktuell von einer Insolvenz bedroht. Bereits vor der Krankenkhausreform gab es  allerdings in Deutschland schon einen signifikanten Abbau von Bettenkapazitäten mit noch 665 565 Betten in 2411 Krankenhäusern im Jahre 1991 bis zu einer Reduktion 2021 um 524 auf 1887 Häuser mit 483 606  Betten. Auf die Bevölkerungszahl bezogen sank die Quote von 832 Betten auf 581 pro 100 000 Einwohner, was aber im OECD-Vergleich immer noch ein hoher Wert ist.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten (finanziellen) Belastungen, die Krankenhäuser aktuell bewältigen müssen?

WH: Die Teuerungen z.B. im Bereich Energie, Personalkosten und Beteiligung an der Investitionstätigkeit sowie die bei allen Beschaffungskosten immer noch vorhandene Inflation wird durch die Veränderungsraten nur unzulänglich aufgefangen. Trotz der in Deutschland weithin etablierten dualen Finanzierung, bei der z.B. für größere Investitionen im Bau- oder IT Bereich die kommunalen Träger oder die Bundesländer zuständig sind, müssen die Krankenhäuser immer häufiger Eigenmittel mit den Folgen der Abschreibungs-Belastung selber tragen.

Welche strukturellen und systemischen Probleme sehen Sie als Hauptursachen für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Krankenhäuser in Deutschland?

WH: Der in den letzten beiden Jahrzehnten aufgetretene Rückgang der Investitionsquoten gepaart mit den kontinuierlich angestiegenen Kosten stellt die Hauptbelastung dar. Die kann nur durch Effizienz-Steigerungen  und detaillierte medizinisch/ betriebswirtschaftliche Analysen und Reaktionen darauf, auch mit Hilfe der IT und KI, kompensiert werden.

Das DRG-System (Fallpauschalen) wird oft als zentraler Faktor für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Krankenhäuser genannt. Wie bewerten Sie dieses Abrechnungssystem aus externer Sicht?

WH: Nach dem gerade verabschiedeten Gesetz sollen in Zukunft Kliniken 60% der Vergütung allein schon für das Vorhalten bestimmter Leistungsangebote bekommen. Eine Abkehr von der absoluten DRG-Dominanz ist grundsätzlich richtig, andererseits müssen die Fallzahlen weiterhin positiv mit der Vergütung korrelieren, um nicht wie in anderen Ländern am Ende längere Wartezeiten für Patienten/innen zu riskieren. Obwohl ein Anreiz zu übermäßigem Leistungsausbau nicht gefördert werden sollte, muss auch im Krankenhaus das Leistungsprinzip bis hin zur sportlichen Konkurrenz der Häuser aufrecht erhalten bleiben. Die Vor-DRG- Systematik, bei der im Wesentlichen nach der Zahl der Liegetage im stationären Sektor bezahlt wurde, hatte auch falsche Anreize geschaffen und musste daher überwunden werden. Die Krankenhausfinanzierung ist eben ein lernendes System und jede Regelung hat Vor- und Nachteile, so dass wir die Detaillierungen der jetzt beschlossenen Reform gut begleiten und gemeinsam steuern sollten.

Welche Reformen wären Ihrer Meinung nach notwendig, um das DRG-System gerechter und effizienter zu gestalten?

WH: Die jetzigen Reformen gehen in die richtige Richtung, weil bei guter Gestaltung die Qualität durch die transparente Einhaltung von anerkannten Kriterien verbessert wird und große Häuser komplexe Fälle häufig und in optimalen Verhältnissen behandeln werden, während die wichtigen kleineren Häuser insbesondere auf dem Land, bei optimaler Struktur auskömmlich von dem „überleben“ sollen, was sie am besten vertreten können. Hier müssen die Länder mit bester Kenntnis Ihrer Regionen die Strukturierung im Einzelnen festlegen.

Die steigenden Betriebskosten – insbesondere im Bereich Personal und Energie – sind eine der größten Herausforderungen. Welche Best Practices oder innovativen Modelle könnten helfen, die Kosten zu senken, ohne die Versorgungsqualität zu beeinträchtigen?

WH: Wir haben als Universitätsklinikum Bonn (UKB) im letzten Jahr ein positives Betriebsergebnis von über EUR 20 Mio. gehabt und auch z.B. in den letzten vier Jahren ein positives durchschnittliches Ergebnis gehabt, während andere Uni-Klinika in NRW, die alle auch hervorragend sind, im selben Zeitraum ein durchschnittliches akkumuliertes Defizit in Höhe von über EUR 100 Mio. hatten. Das UKB hatte gleichzeitig den zweithöchsten Case-Mix Index in Deutschland und war auch in der Qualität von Forschung und Lehre in Spitzenpositionen mit über EUR 100 Mio. Drittmitteln im letzten Jahr.

Der Fachkräftemangel im Pflegebereich ist eine der drängendsten Herausforderungen. Wie sollten Krankenhäuser strategisch vorgehen, um diesem Problem zu begegnen?

WH: Das Wichtigste ist die Ausbildung von Pflegefachkräften, in denen diesen die Attraktivität des Berufes ( sicherer und gut bezahlter Job, Technik-affin, mit starker menschlicher und humanitärer Komponente etc.) erlebbar vermittelt wird, möglichst mit starker Interaktion unter den Berufsgruppen. Wir müssen die Bedürfnisse und Gepflogenheiten der jungen Menschen ansprechen und hatten dafür z.B. am UKB das neue Bildungszentrum modern und großflächig mit werbewirksamen Motiven angestrichen. Natürlich muss auch im Ausland rekrutiert und die Integration dann gefördert werden, und nach meinen langjährigen persönlichen Erfahrungen in der Schweiz und Kalifornien muss das Image der Pflege durch mehr Agieren auf Augenhöhe speziell mit dem ärztlichen Personal gefördert werden.

Wie könnten Ihrer Meinung nach Krankenhäuser als Arbeitgeber attraktiver gestaltet werden, um Fachkräfte langfristig zu binden?

WH: Neben den gerade angesprochen Aspekten ist die ständige Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Karrieren im Beruf – auch in der Pflege – ein ganz wichtiger Faktor, weil auch hier Leistung sich nachhaltig lohnen muss. Ebenso wichtig sind flexible Arbeitszeitmodelle, um gut ausgebildete Fachkräfte mit zeitlichen Limitierungen trotzdem nicht zu verlieren.

Investitionsstau ist ein weiteres großes Thema. Wie bewerten Sie die aktuelle Finanzierungssituation, was Investitionen in Infrastruktur und Technik betrifft?

WH: Die Situation kann sich durch das neue Gesetz dadurch verbessern, das die rund 1900 Krankenhäuser in Deutschland zunächst Soforthilfen, z. B, durch Erhöhung der Fallpauschalen neben einem angemesseneren Ausgleich für Personalkosten-steigerungen gezahlt werden. Es wird aber auch Situationen geben, wo Investitionen in ein sehr sanierungsbedürftiges Krankenhaus ohne gravierende Änderungen des Konzeptes keine positive Prognose mehr rechtfertigen, was man natürlich durch rechtzeitige Maßnahmen vermeiden möchte

Welche Rolle sollten Bund und Länder Ihrer Ansicht nach spielen, um den Investitionsstau nachhaltig aufzulösen?

WH: Solange wir in Deutschland keine monistische Finanzierung ( Zahlung von Investitions- und Betriebskosten aus einer Hand) haben, kommt vor allem den Ländern und bei unserer föderalen Struktur weniger , aber auch dem Bund die entscheidende Bedeutung zu. In vielen Bundesländern und Kommunen ist der Investitionsstau inzwischen erkannt worden, und z.T. hochvolumige Programme wurden aufgesetzt. Es ist aber gerade im Baubereich von größter Bedeutung, dass keine Fehlinvestitionen passieren, da z.B. Entwicklungen in der Medizin ( Zusammenarbeit und Differenzierung bestimmter medizinischer Fächer unter einem Dach, Ambulantisierung, abnehmende und zunehmende Bedeutung bestimmter Fächer) nicht ausreichend oder rechtzeitig berücksichtigt werden und die Planung und Ausführung nicht eng genug überwacht wird. Hier muss neben den Bewilligungen durch die Gewährträger vor allem vor Ort hochprofessionell vorgegangen werden in engster Zusammenarbeit zwischen Bau- und Facility Management.

Welche kurzfristigen Maßnahmen könnten Krankenhäuser ergreifen, um ihre finanzielle Situation zu stabilisieren?

WH: Es muss jeweils auf der Basis der neuen gesetzlichen Regelungen von den einzelnen Häusern eine genaue Analyse durchgeführt werden, wie mit den zugestandenen Leistungsgruppen auskömmlich gearbeitet werden kann und wo regionale Absprachen unter verschiedenen Anbietern zum Erfolg führen. Hier ist großer Sachverstand und wohlwollende Ehrlichkeit in der Beratung gefragt.

Haben Sie Beispiele für erfolgreiche Maßnahmen oder Programme, die von Krankenhäusern umgesetzt wurden, um Kosten zu reduzieren oder Einnahmen zu steigern?

WH: Auch z.B. das UKB hatte 2014 noch ein Defizit von EUR 20 Mio., aber durch ein sehr umfangreiches Analyse- und Umsetzungsprogramm konnte das Blatt nachhaltig gewendet werden, mit großem nachfolgenden Leistungszuwachs.

Viele Fachleute sprechen von der Notwendigkeit einer Strukturreform im Krankenhauswesen. Was halten Sie von Konzepten wie Klinikschließungen, Fusionen oder der Spezialisierung auf bestimmte Fachgebiete?

WH: Man sollte in einer solch schwierigen Situationen nicht von Schlagworten leben, sondern nüchtern das Gute erhalten und die notwendigen Umstrukturierungen in den Krankenhäusern angehen, auch wenn dies manchmal sehr großen Einsatz erfordert.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie bei solchen Umstrukturierungsmaßnahmen, insbesondere für kleinere Krankenhäuser?

WH: Kleine Krankenhäuser werden gebraucht, z.B. in ländlichen Regionen, aber bei hoher Spezialisierung können sie auch in Ballungsräumen eine wichtige Bedeutung behalten. Nach einem der Krankenhausreform vorgeschalteten Reformvorschlag der Regierungskommission wurden z.B. Kliniken mit mehr als 350 Betten (Level 2 und 3) pro Standort als in der Regel „lebensfähig“ gesehen, und ein innovatives Element der Krankenhausreform ist auch das Konzept der Level 1-Krankenhäuser mit ärztlicher und pflegerischer Vor-Ort-Versorgung in umgewandelten kleineren Krankenhäusern als zukünftig dann ambulant-stationären Einrichtungen Hierdurch sollen wohnortnahe Leistungen mittels Bündelung interprofessioneller und interdisziplinärer Angebote gesichert werden.

Die Corona-Pandemie hat viele Krankenhäuser an ihre Grenzen gebracht. Was haben wir aus dieser Krise gelernt, und welche Maßnahmen wären notwendig, um Krankenhäuser besser auf zukünftige Krisen vorzubereiten?

WH: Insgesamt hat Deutschland die SARS-CoV 2- Pandemie recht gut bewältigt, auch wenn wir unbedingt auch Lehren aus Fehlern ( zu drastischer Umgang mit alten Menschen am Anfang und Kindern am Ende) lernen müssen. Es wurden ja vom Staat auch großzügige Hilfen bereit gestellt, z.B. auch Freihalteprämien für offengehaltene Betten. Das UKB ist hier andere Wege gegangen, und obwohl wir über 3000 Patienten mit z.T. sehr schweren Corona-Erkrankungen aus dem In- und Ausland behandelt haben, wurden alle Patienten mit anderen Diagnosen weiter so behandelt wie vorher, so dass wir z.B. im ersten Pandemie-Jahr 2020 als einzige Uni-Klinik einen Leistungszuwachs hatten, um den Patienten mit allen bisherigen Indikationen wie denen mit COVID 19 die bestmögliche Therapie zu gewähren und um keine Schäden durch Aufschieben von Diagnosen und Therapien zu riskieren.

Welche Rolle spielen hierbei die Digitalisierung und innovative Technologien?

WH: Unser bereits vor der Pandemie durchgängig im UKB eingeführte elektronische Krankenakte hat uns geholfen, auch das in der Corona-Zeit erarbeitete spezifische Dash-Board, welches auch einen guten Austausch mit anderen Kliniken ermöglicht hat. Wir müssen ständig unsere Pandemic Preparedness überprüfen und anpassen.

Wie sehen Sie die Zukunft des deutschen Krankenhauswesens in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Welche großen Trends oder Veränderungen erwarten Sie?

WH: In dem sehr guten Buch „Which country hast he best health care system“ des US-amerikanischen Professors und Präsidentenberaters Ezekiel Emanuel werden die Strukturen und Ergebnisse der Gesundheitssysteme in verschiedenen Ländern verglichen, und  -nicht überraschend- stellt sich heraus, dass es das eine ideale System nicht gibt. England z.B. gibt einen kleineren Teil vom Bruttosozialprodukt für Gesundheit aus als wir bei auch guten Ergebnissen insgesamt, hat aber im Durchschnitt längere Wartezeiten für die Patienten/innen. Die USA haben Spitzen-Kliniken, aber eine schlechte Breitenversorgung und insgesamt zu hohe Kosten. Deutschland könnte in der Qualität noch zulegen und hat in Einzelbereichen einen Nachholbedarf z.B. bei der Verlagerung von bisher im stationären Bereich erbrachten Leistungen in den ambulanten Sektor, während z. B. in Dänemark Leistenbruch-operationen zu etwa 99% bereits 2021 ambulant erfolgten und in Deutschland nur etwa 16%. Um hier eine Veränderung zu erreichen, müssten aber die ambulanten Leistungen besser vergütet werden, um Fehlanreize in Richtung stationärer Betreuung abzubauen. Wenn man sich die Belegungszahlen ansieht, hat Deutschland insgesamt mehr als genug Betten, aber vor dem Hintergrund der für uns alle drückenden demographischen Veränderung kann nur eine Effizienzsteigerung den Erhalt unseres vergleichsweis guten Krankenhauswesens sichern. Ein wie bisher eher unkontrollierter Abbau von Betten bis hin zu Klinik-Insolvenzen ist aus meiner Sicht sicher schlechter als das jetzt mit der Krankenhausreform besser mögliche kontrollierte Vorgehen mit transparenten Kriterien und unserer konstruktiven Mitarbeit.

Herr Prof. Holzgreve, wir danken Ihnen für das Gespräch und freuen uns auf die anstehenden Projekte.

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