ImpulsLetter Q3/2020
Abstract
Die digitale Transformation der Arbeitswelt wurde durch die Corona-Krise nochmal deutlich beschleunigt. Viele Unternehmen haben erkannt, dass ein „einfach weiter so“ nicht möglich ist und die aktive Gestaltung der Art und Weise wie wir zukünftig arbeiten viele Chancen birgt. Oftmals werden jedoch viele unverbundene Einzelinitiativen gestartet, die keinem gesamthaften Konzept folgen. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die wesentlichen Aspekte einer ganzheitlichen Transformation und zeigt auf, mit welchen alternativen Vorgehensweisen der Weg in die „neue Normalität“ wirksam beschritten werden kann.
New Work: Neue Aufgaben, Anforderungen und Erwartungen
Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist in vollem Gange. Technologische Entwicklungen wie Big Data, Industrie 4.0, Robotik oder das Internet der Dinge führen nicht nur zu elementaren Veränderungen von Wertschöpfungsprozessen in Unternehmen, sondern beeinflussen auch die Art und Weise wie wir arbeiten. Mehr noch, mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt wandelt sich nicht nur das Arbeits-, sondern damit eng verknüpft auch das Lebensumfeld der Menschen.
Zu beobachten ist, dass sich die Anforderungen und Erwartungen an Arbeitsweisen in den letzten Jahren stark verändert haben. Wie können sich Unternehmen positionieren, um mit diesen rasanten Veränderungen mitzuhalten oder besser sogar voranzugehen? Im Kern lassen sich vier Grundpfeiler einer neuen Normalität identifizieren.
- Unternehmen erwarten Produktivitätssteigerung
Der Einsatz von neuen Technologien und damit verbunden veränderten Arbeitsweisen muss für Unternehmen einen ökonomischen Nutzen haben. In diesem Zusammenhang geht der Fokus weg von der reinen Arbeitszeit- hin zu einer stärkeren Output-Orientierung.
- Trend zur Flexibilisierung
Die Vereinbarung von Arbeit mit der privaten Lebenssituation wird immer wichtiger. Hierbei ist eine optimale Gestaltung der Arbeitsumgebung entscheidend. Die Arbeitgeberattraktivität steigt mit dem Grad der möglichen Flexibilisierung des Unternehmens.
- Technologien sind verfügbar
Die technische Dimension der Digitalisierung fungiert als Enabler für veränderte Arbeitsweisen. So ermöglichen geeignete infrastrukturelle Voraussetzungen dezentrale Arbeit. Darüber hinaus verbessern neue Kommunikations- und Kollaborationstools die Zusammenarbeit.
- Corona-Auswirkungen als Proof of Concept
Während nur einige Unternehmen vor der Corona-Krise neue Arbeitsweisen etabliert hatten, mussten sich alle Unternehmen während des Lockdowns zwangsweise umorientieren und Wege für eine digitale Zusammenarbeit entwickeln. Innerhalb weniger Wochen wurden alte Denkmuster verworfen und Barrieren überwunden, denn viele stellten fest: „Es funktioniert!“.
Chance für eine WIN-WIN-WIN Situation
Mithilfe der technischen Möglichkeiten und der durch die Corona-Krise angetriebenen Veränderungsbereitschaft besteht die große Chance eine „bessere“ Arbeitswelt zu entwickeln. Nicht nur Unternehmen können von der neuen Dynamik der Digitalisierung profitieren, auch Mitarbeiter und Mitarbeitervertreter erkennen die Vorteile der neuen Arbeitswelt. Dazu zählen z.B. die Steigerung der Produktivität und die Senkung der Infrastrukturkosten. Die Entkopplung von Ort (Durchführung der Arbeit im Home Office oder mobil an verschiedenen Orten) und Zeit (eigenverantwortliche Zeitnutzung und -erfassung durch die Mitarbeiter) sind dafür die wesentlichen Treiber. Faktoren wie eine ausgereifte technische Infrastruktur, adaptierte Prozesse und geeignete rechtliche Rahmenbedingungen ermöglichen die Veränderung der Arbeitswelt.
Viele Unternehmen erkennen die veränderten Anforderungen und möglichen Vorteile einer Umgestaltung der Arbeitswelt, sehen sich aber mit einer hohen Komplexität in der konkreten Umsetzung konfrontiert. Typische Fragestellungen in diesem Zusammenhang sind bspw.:
- Welche neuen Arbeitsmodelle erlauben neben Produktivitätssteigerungen auch motivierendere, sinnstiftendere und gesündere Arbeitsweisen?
- Wie können die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Zielgruppen berücksichtigt werden?
- Wie sieht ein rechtssicherer Rahmen für die neuen Arbeitsmodelle aus?
- Wer sind die unternehmensinternen Veränderungstreiber und -verhinderer?
- Wie können externe Mitarbeiter und Partner in die neuen Arbeitsmodelle integriert werden?
Bei aller Euphorie zum Thema Digitalisierung und den vielfältigen Verbesserungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt dürfen mögliche Nachteile nicht unberücksichtigt bleiben. So kann bspw. eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten in Verbindung mit Home Office Arbeitsplätzen ohne ausreichende Regeln für die Mitarbeiter zu einer Entgrenzung der Arbeit und damit zu erhöhtem psychischem Druck führen.
Dimensionen einer Ganzheitlichen Transformation
Wir beobachten regelmäßig, dass in Unternehmen viele Einzelinitiativen gestartet werden, hinter diesen jedoch kein gesamthaftes und in sich stimmiges Konzept steht. Da sich die fundamentalen Veränderungen der Arbeitswelt jedoch auf unterschiedlichen Ebenen vollziehen, bedarf es der Berücksichtigung verschiedener Transformationsdimensionen. Entlang der einzelnen Transformationsdimensionen sind wiederum zahlreiche Ansatzpunkte zur Entwicklung einer integrierten Lösung notwendig.
Kultur
Eine offene Kultur ist die wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Realisierung neuer Arbeitsformen. Wesentliche Gestaltungsfelder sind u. a. der „Fit“ mit den Unternehmensgrundsätzen, eine ermöglichende und von Vertrauen geprägte Führungs- und Zusammenarbeitskultur, eine aufgabenspezifische Balance zwischen Präsenzarbeit und Home Office sowie die Eigenverantwortung der Mitarbeiter.
Organisation
Die Dimension Organisation umfasst verschiedene Gestaltungsfelder zur Neujustierung des Rahmens für die unternehmensinterne und – übergreifende Zusammenarbeit. Hierzu gehören bspw. eine geeignete Enterprise-Architektur, Regelungen für den Umgang mit neuen Kollaborationstools, angepasste Kompensationsmodelle und Wertgrenzen-Regelungen sowie neue Bürokonzepte.
Prozesse
Während mit der Dimension Organisation der Rahmen der Zusammenarbeit festgelegt wird, betrachtet die Dimension Prozesse die eigentlichen Abläufe der Zusammenarbeit. Hier gilt es u. a. Workflows und Arbeitsprozesse sowie Data Governance-Regelungen anzupassen. Wesentliche übergeordnete Zielsetzungen sind dabei die Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen und die Sicherstellung von Entscheidungsschnelligkeit.
Skills/Kompetenzen
Im Kern dieser Dimension steht die Adjustierung des Modells von Regeln, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Die Wirksamkeit neuer Arbeitsformen setzt v. a. eine stärkere Dezentralisierung von Entscheidungskompetenz voraus. Weitere Aspekte sind die korrespondierende Ausgestaltung der Leistungs-/Qualitätskontrolle, die Förderung des formellen und informellen Austauschs sowie nicht zuletzt die Weiterentwicklung digitaler Fähigkeiten.
Technologie/Security
Die IT-Infrastruktur mit mobiler Verfügbarkeit sowie aufgabenadäquate Applikationen sind wesentlicher Enabler für veränderte Formen der Zusammenarbeit. Über die rein technischen Aspekte hinaus sind in dieser Dimension insbesondere Sicherheitsgrundsätze zu berücksichtigen und geeignete Berechtigungskonzepte zu implementieren.
Arbeitsrecht
Alle vorbenannten Dimensionen benötigen einen rechtssicheren Rahmen. Insbesondere die arbeitsrechtlichen Regelungen werden heute in vielen Unternehmen vernachlässigt. Kritische Gestaltungsfelder sind insbesondere Arbeitsverträge, Arbeitszeitmodelle, Datenschutzbestimmungen, Betriebsvereinbarungen, Versicherungsschutzbestimmungen und Tarifstrukturen.
Alternative Vorgehensweisen
Für die Festlegung des Vorgehens zur Umsetzung eines Transformationsprogramms lassen sich zwei grundsätzliche Alternativen unterscheiden, zwischen denen Unternehmen je nach Situation und bisherigen Entscheidungen zur Einführung neuer Arbeitsweisen auswählen sollten.
Alternative A ist anzuraten, wenn bisher noch keine Entscheidung zur Etablierung neuer Arbeitsweisen getroffen wurden. Das Vorgehen umfasst hier drei Phasen. In Phase 1 geht es um die Entwicklung der Rahmenkonzepte. Dazu werden zunächst die möglichen Unternehmensvorteile durch neue Arbeitswelten eruiert. Auf dieser Basis werden dann die wirtschaftlichen Potenziale der identifizierten Vorteile quantifiziert und jeweils Zielwerte definiert. Phase 1 endet mit der Ableitung von geeigneten Rahmenkonzepten zur Realisierung der Zielwerte.
Während aus Gründen einer ganzheitlichen Abbildung das Vorgehen in Phase 1 top down erfolgt, werden die Ergebnisse in Phase 2 bottom up konkretisiert, um die spätere Akzeptanz im Unternehmen zu erhöhen. Hier geht es daher um die Ausarbeitung zielgruppenspezifischer Steckbriefe für die Rahmenkonzepte. Dies beginnt mit der Identifikation der relevanten Zielgruppen pro Rahmenkonzept. Gemeinsam mit den jeweiligen Zielgruppen erfolgt dann die Evaluierung des Zielbetrags der Rahmenkonzepte. In Form von Steckbriefen werden Maßnahmen und Nutzen der Rahmenkonzepte konkretisiert.
In der abschließenden Phase 3 steht die Zusammenführung der Steckbriefe zu einer Umsetzungsroadmap im Mittelpunkt. Durch eine Validierung der Steckbriefe und Analyse der wechselseitigen Abhängigkeiten wird die Basis für eine gesamtheitliche Business Case-Betrachtung geschaffen und ein Umsetzungskonzept abgeleitet. Nach unserer Erfahrung kann ein Projektvorgehen gemäß Alternative A innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden.
Sind demgegenüber bereits entsprechende Entscheidungen eine Veränderung von Arbeitsmodellen und -weisen im Unternehmen getroffen und entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden, so empfiehlt sich ein Vorgehen gemäß Alternative B. Hier geht es darum auf den bisherigen Aktivitäten aufzusetzen und diese gesamthaft aus verschiedenen Perspektiven zu reflektieren. In diesem Zusammenhang kann zunächst eine Online-Umfrage ein geeignetes Instrument sein, um Erwartungshaltungen in der Organisation zu erfassen und Fokus-Themen herauszuarbeiten.
Dem folgend empfehlen wir ein Workshop-basiertes Vorgehen. Dazu werden Workshops sowohl mit dem Führungsteam als auch mit ausgewählten Mitarbeitern durchgeführt, in denen es jeweils um das Reflektieren der bisherigen Aktivitäten und Erfahrungen sowie um die Ableitung möglicher Handlungsfelder geht.
Auf Basis dieses Inputs erfolgt in einem zweiten Workshop mit dem Führungsteam die Konsolidierung der Perspektiven. Dies umfasst die Erarbeitung des Zielbildes, die Priorisierung der Handlungsfelder und die Ableitung konkreter Maßnahmen. Für ein Projektvorgehen gemäß Alternative B sehen wir einen Zeitbedarf von ca. zweieinhalb Monaten.
Fazit
Unsere Projekterfahrung zeigt, dass das Initiieren von Einzelmaßnahmen zu kurz greift, um die interessenbalancierte Transformation von Arbeitsmodellen und -formen in eine neue Normalität sicherzustellen. Stattdessen ist ein ganzheitlicher, die verschiedenen Gestaltungsdimensionen berücksichtigender Ansatz erfolgsversprechender. Je nach Ausgangssituation und Fortschritt im Unternehmen empfehlen sich dann unterschiedliche Vorgehensweisen. Für die Ausarbeitung eines unternehmensspezifischen Transformationsprogramms ist jedoch unabhängig von der gewählten Vorgehensweise die intelligente Verbindung von top down vorgegebenen Leitplanken und bottom up erarbeiteten Lösungsansätzen wesentlich. Zu einem „Leben“ der neuen Normalität gehört, dass die konkrete Ausgestaltung des Rahmens, die Erstellung einer Roadmap sowie deren Umsetzung mit aktiver Einbindung ausgewählter Mitarbeiter erfolgt. Nur so lässt sich die unternehmensweite Akzeptanz und damit die Erzielung der angestrebten Vorteile sicherstellen.