ImpulsLetter Q4
Abstract:
Plattformen wie Amazon prägen die Erwartungshaltung der Kunden gegenüber Energieversorgern. Customer Centricity ermöglicht es, die vom Kunden wahrgenommene Service-Lücke zu schließen und Kunden zu gewinnen, zu binden und zu entwickeln.
Digitale Plattformen bestimmen den Alltag der Kunden und beeinflussen die Erwartungshaltung gegenüber Energieunternehmen. Ein Großteil der Stadtwerke erwartet, dass in 10 Jahren die Versorgungsquote in der eigenen Region unter 50% liegen wird und damit ein deutlicher Rückgang von ca. 30% einher gehen wird. Die Kundenwahrnehmung des EVU im Vergleich zu Online-Händlern, Streamingdiensten etc. ist somit der zentrale Indikator für EVU und entscheidet über Verbleib oder Anbieterwechsel.
Die kundenzentrierte Ausrichtung des Energieunternehmens in den Elementen Produkt, Kommunikation, Customer Journey und Unternehmenskultur bietet Chancen den Anschluss zu halten. Customer Centricity lässt sich in annähernd allen Wertschöpfungsstufen vom Vertrieb über das Netz bis hin zum Shared Service anwenden. Mehr als 70% der Energieunternehmen, die an einer deutschlandweiten Befragung teilgenommen haben, bestätigen die Bedeutung von Customer Centricity für die Energiewirtschaft. Über 50% der Unternehmen bewerten jedoch die Kundenzentriertheit der deutschen EVU mit Schulnoten von 4 – 6 [1].
Customer Centricity: was bedeutet das für die Energiewirtschaft?
Ungeachtet der Branche stellen aktuell noch immer viele Unternehmen ihr Produkt bzw. ihre Dienstleistung in den Fokus ihres Handelns. Dabei bietet es sich vor allem für EVU an, in einem Wettbewerb um ein austauschbares Produkt, der zunehmend von Online Plattformen und automatisierten Wechsel geprägt ist, den Kunden und insbesondere die Kundeninteraktion in den Mittelpunkt der unternehmerischen Aktivitäten zu stellen.
Vier zentrale Elemente zur kundenzentrierten Ausrichtung des EVU haben sich in der Praxis bewährt.
1. Produkte
Customer Centricity erfordert von EVU in vielerlei Hinsicht ein Umdenken bei der Entwicklung von Produkten. Den Kundennutzen gilt es stärker in den Fokus der Produktentwicklung zu stellen. Hierzu haben Unternehmen verschiedene Optionen einen Perspektivenwechsel einzuleiten, z.B. über den Einsatz von Methoden wie Design Thinking bei der Produktentwicklung, bis hin zur Co-Kreation von Produkten.
Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen, dass der Bedarf an regionalen und nachhaltig produzierten Produkten steigt und Anbieter attraktive Margen realisieren können. In der Energiewirtschaft kann Customer Centricity helfen dieses Segment zu erschließen.
2. Kommunikation
In Bezug auf die Kommunikation mit dem Kunden ist ein Wandel von einem anonymen Verhältnis zwischen Kunde und EVU zu einer tiefen und individualisierten Kundenbeziehung durch 1:1 Kommunikation sinnvoll. Teilelemente sind die Nutzung von Kommunikationskanälen, die vom Kunden präferiert werden, die selektive Kontaktaufnahme ausschließlich zu kundenseitig gewünschten Anlässen, eine kundenindividuelle Kontaktfrequenz sowie eine kundenspezifische Informationsdarbietung.
3. Customer Journey
Die Customer Journeys beschreiben die Interaktionen eines Kunden mit dem EVU. Für eine Optimierung der Customer Journeys sollten sowohl die Interaktionspunkte (Touchpoints) als auch alle Erlebnisse im Zuge einer Interaktion kundenzentriert ausgestaltet sein, um im Ergebnis eine hohe Kundenzufriedenheit zu erreichen.
4. Unternehmenskultur
In Hinblick auf die Unternehmenskultur ist es entscheidend, dass Führungskräfte und Mitarbeiter sowohl eine kundenorientierte Denkhaltung als auch kundenorientiertes Handeln verinnerlichen. Dies erfordert eine hohe Anpassungsfähigkeit bei sich ändernden Kundenbedürfnissen sowie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Kollegen in agilen Projektteams, externen Partnern und Kunden.
Der Customer Journey kommt im Zusammenspiel dieser vier Elemente der Customer Centricity eine besondere Bedeutung zu, denn die Kundenerfahrungen im Zuge der Interaktionen zwischen EVU und Kunde sind der bestimmende Faktor für eine lange Kundenbindung. EVU sollten sich also der entscheidenden Customer Journeys im Kundenlebenszyklus bewusst werden und diese konsequent am Kunden ausrichten, um die Kundenzufriedenheit sicherzustellen. Zu diesen Customer Journeys gehören unter anderem das Beratungsgespräch in der Interessephase des Kunden, der Vertragsabschluss in der Kaufphase sowie Kundenerfahrungen im Zuge des Tarifwechsels oder die Formulierung einer Beschwerde. Dabei senken negative Erfahrungen die Kundenzufriedenheit wesentlich stärker, als positive Erfahrungen den Kundenzufriedenheitsgrad steigern.
EVU sollten somit sicherstellen, dass sie das Portfolio ihrer Customer Journeys fortwährend prüfen und bei Bedarf optimieren. Die Priorisierung der zu optimierenden Customer Journeys erfolgt dabei anhand ihrer Bedeutung für den Kunden und dem aktuellen Kundenzufriedenheitsgrad einer spezifischen Customer Journey.
Fazit
Die Praxis zeigt, dass durch den Perspektivwechsel auf den Kunden seine Zufriedenheit und Bindung an den Energieversorger verbessert wird, die Qualität des Leistungsangebotes wird gesteigert und neue Kunden werden gewonnen. Energieversorger können dadurch mit digitalen Plattformen Schritt halten, die den Kundealltag und seine Erwartungshaltung gegenüber dem EVU prägen. Im besten Falle entstehen durch die Nähe zum Kunden sogar neue Geschäftsfelder. Customer Centricity leistet also kurz- und mittelfristig einen Beitrag für das Unternehmen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein hoher Anteil der deutschen EVU davon ausgeht, dass in 5 – 8 Jahren energiefremde Dienste 10 – 20% des Unternehmensergebnisses ausmachen werden [1].
Quelle:
[1] Ergebnisse einer Befragung im Rahmen der Veranstaltungsreihe ADVYCE EnergieImpulse an den Standorten Berlin, Frankfurt und Düsseldorf (N = 93)
Olaf Geyer